18. Juli 2024 (letzte Änderung: 23. Juli 2024)
Die Stereoanlage Tandberg TR-200 aus dem Anfang der 1970er Jahre hatte einen merkwürdigen Defekt. Der rechte Kanal zeigte nach ein paar Minuten Verzerrungen, die beim Aufdrehen der Lautstärke auftraten und dann wieder verschwanden und nach einer Weile wieder kamen. Im Abstand von etwa 5 bis 10 Sekunden trat der Fehler auf und verschwand wieder.
Ein solcher periodischer Fehler ist unangenehm bei der Fehlersuche. Grundsätzlich lässt er sich nur durch eine systematische Vorgehensweise lokalisieren.
Serviceunterlagen zum Tandberg TR-200 (norwegisch, englisch):
– https://ia804505.us.archive.org/16/items/manual_TR200_TANDBERG/TR200_TANDBERG.pdf
Vorstellung und technische Daten des Tandberg TR-200:
– https://elektronikbasteln.pl7.de/tandberg-tr-200-ukw-stereoanlage
– https://www.welt-der-alten-radios.de/ausstellung-transistorradios-detail-1701.html
– https://www.hifi-wiki.de/index.php/Tandberg_TR-200
Notwendige Messgeräte für die Reparatur: Multimeter, Komponententester, Zweikanal-Oszilloskop, Tongenerator (Sinus, Rechteck), Transistorkennlinienschreiber von Vorteil.
Eine ausführliche Bauanleitung eines einfachen Tongenerators (Sinus, Rechteck, Dreieck, Sägezahn) mit dem IC XR2206 befindet sich hier. Mit diesem arbeite ich seit Jahrzehnten sehr gerne. In der „Bucht“ gibt es fertige Alternativen mit einem XR2206 für wenig Geld. Den XR2206 gibt es immer noch zu kaufen.
Serviceunterlagen: Das Service-Manual für den Tandberg TR-200 ist im Internet zu finden. Leider lag meine erste PDF-Datei in einer teilweise unleserlichen Qualität vor, was die Fehlersuche zusätzlich erschwerte. Unter
https://ia804505.us.archive.org/16/items/manual_TR200_TANDBERG/TR200_TANDBERG.pdf
gibt es zum Glück die Serviceunterlagen in einer guten Qualität mit einer hohen Auflösung der Schaltbilder. Das gesamte Schaltbild als Übersicht befindet sich unter http://nrhf.no/Katalogark/Tandberg%20TR-200-s.pdf.
Öffnen des Gehäuses: Links und rechts jeweils zwei Kreuzschlitzschrauben entfernen, um die beiden aufgesteckten hölzernen Seitenteile zu entfernen. Die Frontseite des Gerätes ist zum eigenen Körper gerichtet. Nun mit beiden Händen den hölzernen Deckel durch Drücken desselben nach vorne aus der hinteren Nut lösen und nach vorne zum Körper nach oben klappen. Keinesfalls den Deckel zu Seite schieben, da dadurch das Skalenseil beschädigt werden könnte! Die untere Aluminiumabdeckung ist mit einigen Schrauben befestigt und erlaubt den Zugang zur Leiterbahnseite der Leiterplatte.
Vorarbeiten: Um mechanische Wackelkontakte auszuschließen, wurden alle Kontakte (Umschalter und Potentiometer) mit Tunerspray behandelt. Die Speisespannung von 25 Volt und der Ruhestrom der Endstufen wurde überprüft, wie es in den Serviceunterlagen angegeben ist.
Fehler einkreisen: Der Fehler tritt nur im rechten Kanal auf und auch, wenn man den Audio-Eingang „EXTRA“ nutzt. An diesen Eingang legt man das Sinus-Signal eines Tongenerators an und verfolgt Stufe für Stufe das Sinussignal mit einem Oszilloskop. Von Vorteil für die Einkreisung des Fehlers ist, dass die ersten Verstärkerstufen durch Koppelkondensatoren galvanisch getrennt sind. Es stellte sich heraus, dass am Eingang der Endstufe das Signal unverzerrt vorliegt, obwohl aus dem Lautsprecher die Verzerrungen deutlich zu vernehmen sind. Die Betriebsspannung von 25 Volt war immer in Ordnung. Damit war klar, dass der Fehler irgendwo in der Endstufe des rechten Kanals liegen muss.
Die Schwierigkeit ist, dass diese Endstufe aus 6 Transistoren besteht, die alle durch Gleichstrom gekoppelt sind. Durch den periodisch auftretenden Fehler werden Messungen erschwert. Schließlich konnte man den Fehler provozieren oder abstellen, in dem man auf die Leiterplatte klopfte oder drückte. Deshalb vermutete ich kalte Lötstellen, Haarrisse der Leiterbahnen oder Lötbrücken. Durch Nachlöten aller Lötstellen der Endstufe und einer genauen Inspektion der Leiterplatte mit der Lupe konnte der offensichtliche Wackelkontakt leider nicht behoben werden.
Wie die diskret aufgebaute Transistorendstufen mit verschiedenen Gegentaktschaltungen funktionieren, ist unter https://www.elektroniktutor.de/analogverstaerker/qu_kompl.html und den angrenzenden Seiten erklärt. Demnach handelt es sich bei der Endstufe des Tandberg um eine Quasikomplementärendstufe mit Bootstrapping durch den Kondensator C610 und einer Gegenkopplung durch R614 über mehrere Stufen hinweg.
Die üblichen Verdächtigen bei einem über 50 Jahre alten Gerät sind die Transistoren und die Elkos. Erst tauschte ich mit Ausnahme des Elkos zum Lautsprecher sämtliche Elkos der Endstufe aus, die allerdings auf dem Komponententester keine Fehler zeigten. Dem Prüfergebnis traute ich wegen des zeitweise auftretenden Fehlers nicht. Den großen Koppelkondensator zum Lautsprecher überprüfte ich auch. Er war in Ordnung. Dann wurden sämtliche Transistoren der Endstufe bis auf die beiden Endstufentransistoren getauscht. Dazu nahm ich ähnliche Typen mit ähnlichen Stromverstärkungsfaktoren und die von der Verlustleistung und den Grenzdaten her geeignet erscheinen. Die notwendige Verlustleistung der Ersatztypen lässt sich durch ihr Transistorgehäuse abschätzen. Dieser Austausch der vier Transistoren brachte allerdings auch keinen Erfolg.
Schließlich baute ich den 150 Ohm Heißleiter (NTC) aus, der auf das Kühlblech zwischen den beiden Endtransistoren geschraubt ist. Mit einem warmen Lötkolben und einem Ohmmeter lässt sich seine Funktion überprüfen. Ein Fehler des NTC war nicht feststellbar. Ein defekter NTC hätte möglicherweise bei Erwärmung der Halbleiter den Arbeitspunkt verschieben können, was Verzerrungen zur Folge hätte. Das Trimmpoti für die Ruhestromeinstellung überprüfte ich ebenfalls und zeigte keine Fehler. Es wurde mit etwas Kontakt- oder Tunerspray gereinigt. Selbstverständlich könnten die Dioden oder Widerstände defekt sein. Doch dies ist eher unwahrscheinlich. Die meisten Dioden lassen sich im eingebauten Zustand mit dem Multimeter überprüfen, ob sie eine Schwellenspannung von etwa 0,7 Volt erzeugen. Aber diese Überprüfung ist bei einem periodisch auftretenden Fehler nicht sicher.
Für die Fehlersuche wäre besonders bei offensichtlich temperaturabhängigen Defekten der Einsatz von Kältespray sehr hilfreich gewesen. Leider hatte ich kein Kältespray mehr zu Hand.
Nun blieb mir nichts anderes mehr übrig als die beiden Endstufentransistoren auszubauen, was etwas Feingefühl und Geduld erfordert, da sie etwa schwer erreichbar sind. Auf dem Komponententester zeigten sich keine Fehler. Mit dem Kennlinienschreiber konnte man allerdings feststellen, dass der Fehler in regelmäßigen Abständen von etwa 5 bis 10 Sekunden auftrat. Der Fehler bestand darin, dass kein Kollektor- oder Emitterstrom mehr fließen konnte. Einer der beiden Transistoren war druckempfindlich. Drückte man sein Gehäuse fest mit den Fingern, funktionierte der Transistor. Dies erklärt, warum der Fehler anfänglich in kalten Lötstellen zu vermuten war.
Die beiden Endtransistoren sollten nach Möglichkeit „gepaart“ sein. Das heißt, sie sollten sich nahezu identisch verhalten. Kommen die Transistoren aus derselben Charge, sind sie das in der Regel auch und es reicht ihren Stromverstärkungsfaktor zu überprüfen. Ganz so pingelig muss man das nicht nehmen, da die Endstufe mit verschiedenen Gegenkopplungen arbeitet. Zudem sorgen die beiden Emitterwiderstände von jeweils 0,47 Ohm für eine Stromgegenkopplung, um abweichende Stromverstärkungsfaktoren ausgleichen zu können.
Auf einem Transistorkennlinienschreiber zeigte sich erst der periodisch auftretende Fehler, der extrem selten ist.
Nach dem Ausbau der Endstufentransistoren können wir testweise einen Lautsprecher anschließen. Der Ton müsste dann leise und etwas verzerrt zu hören sein, wenn die beiden Treibertransistoren noch in Ordnung sind. Dies können wir selbst im eingebauten Zustand mit einem Multimeter zusätzlich überprüfen, ob die pn-Übergänge der beiden Treibtransistoren in Ordnung sind und etwa 0,7 Volt Spannungsabfall liefern.
Wann wurden die defekten Transistoren produziert? Für die Reparatur nicht wichtig, dennoch interessant zu wissen, wie alt die Transistoren sind. Die eingestanzte Zahl „274“ auf der Kühlfahne des Transistors 2N6099 im TO-220-Gehäuse von RCA steht für die Datums- oder Lotnummer. Diese Markierung kann wie folgt interpretiert werden:
27: Die Woche des Jahres, in der der Transistor hergestellt wurde. Dies bedeutet die 27. Kalenderwoche.
4: Das Jahr innerhalb des Jahrzehnts. Dies könnte 1974, 1984, 1994, etc. bedeuten, abhängig vom Herstellungsjahr und dem Zeitraum, in dem RCA diesen Transistor produziert hat.
Da RCA als Hersteller bereits seit längerem nicht mehr existiert und der 2N6099 Transistor ebenfalls schon seit vielen Jahren nicht mehr produziert wird, ist es wahrscheinlich, dass dieser Transistor aus den 1970er oder 1980er Jahren stammt. In diesem Kontext ist die Zahl 4 vermutlich für das Jahr 1974 oder 1984 relevant.
Zusammengefasst, bedeutet die eingestanzte Zahl „274“, dass der Transistor in der 27. Woche eines Jahres, das auf die Ziffer 4 endet (vermutlich 1974 oder 1984), hergestellt wurde.
Basierend auf den Informationen, dass der Tandberg TR-200 Anfang der 1970er Jahre produziert wurde und unter Berücksichtigung der üblichen Produktionszeitrahmen, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der Transistor in der 27. Kalenderwoche des Jahres 1974 hergestellt wurde. Die 27. Kalenderwoche fällt in den Zeitraum Ende Juni bis Anfang Juli.
Somit wurde der Transistor wahrscheinlich Ende Juni oder Anfang Juli 1974 produziert.
Fehlerbehebung: Bei der Endstufe handelt es sich um eine Quasikomplementärendstufe. Die beiden Endstufen bestehen aus gleichen npn-Transistoren im TO-220-Gehäuse. Es ist sehr schwer genau denselben Typ erwerben zu können. Dies ist auch überhaupt nicht nötig. In meinem Tandberg waren zwei 2N6099 verbaut. Laut der mir vorliegenden Serviceunterlagen sollte jedoch der Typ 2N5496 zum Einsatz kommen. Beide Typen hatte ich jedoch nicht auf Lager. Beim Durchwühlen meiner Elektronikschrottkiste, die oft Retter in der Not war, entdeckte ich ein altes PC-AT-Schaltnetzteil. Es enthielt zwei MJE13007. Ein Vergleich der Datenblätter ergab, dass sie vom Gehäuse, von der Anschlussbelegung und den Grenzwerten geeignet erschienen. Wichtig ist, dass die Grenzwerte nicht überschritten werden, vor allen Dingen die Spannungsfestigkeit, der maximale Kollektorstrom und die maximale Verlustleistung.
Nach einer Überprüfung mit dem Komponententester baute ich sie ein, überprüfte mit dem Ohmmeter die Funktion der Isolierungen zum Kühlblech und stellte den Ruhestrom ein. Die Transistoren wurden im Betrieb höchstens handwarm. Mit dem Tongenerator und dem Oszilloskop waren keine Verzerrungen mehr sichtbar. Dann speiste ich den linken und rechten Kanal mit demselben 1 kHz Rechtecksignal und überprüfte an den Lautsprecherausgängen die Kurven mit einem Zweikanaloszilloskop. Es zeigt sich, dass die beiden Ausgangssignale absolut identisch sind. Beide Kanäle verhalten sich also hinsichtlich ihrer Verstärkung und ihres Frequenzgangs identisch. Wären die Frequenzgänge unterschiedlich, wären die beiden Rechtecksignale unterschiedlich verformt.
Ein anschließender Dauertest an vier verschiedenen Lautsprechern zeigte keine Fehler mehr.
Die Gelegenheit der Reparatur wurde genutzt, um das schadhafte Netzkabel zu erneuern und um neue Skalenlämpchen einzubauen.
Der Tandberg TR-200 befindet sich seit zwei Wochen nach der Reparatur im täglichen Einsatz und wird über eine kleine USB-Soundkarte am EXTRA-Eingang versorgt. UKW-Empfang ist ebenfalls möglich. Als Antenne dient hinter der Rückwand des Regals ein einfacher UKW-Halbwellendipol. Er besteht aus zwei Drahtstücken von je etwa 75 cm Länge, die an einem Stück Koaxialkabel angelötet sind. Der Empfang auf Mono ist rauschfrei und es lassen sich damit die schwedischen Sender P1 bis P4 einwandfrei empfangen.
Meine Testmusik. Das Schlagzeug stellt eine Herausforderung an die Impulsantwort und an das Netzteil der Endstufe dar. Die Klavierklänge müssen verzerrungsfrei wiedergegeben werden können. Messtechnik alleine kann das subjektive Hörempfinden nicht ersetzen.
Die hier beschriebene Fehlersuche wurde auf https://www.wumpus-gollum-forum.de/forum/thread.php?board=2&thread=1034&page=1 ausführlich behandelt und diskutiert.
Weitere typische Fehler des Tandberg TR-200: Laut Foreneinträgen sind es durchgebrannte Skalenlampen, die Mechanik der Drucktasten, korrodierte Trimmpotentiometer, die mit Kontaktspray gereinigt werden können, defekte Endstufentransistoren, defekte Elkos im Netzteil und kalte Lötstellen.
Brumm und wilde Schwingungen ließen sich in einem dokumentieren Fall durch einen Kondensator 10 bis 100 nF parallel zum 470 uF großen Elko C531 bzw. C532 beseitigen. Dieser Elko siebt die Versorgungsspannung der Klangreglerstufe. Vielleicht war dieser Kondensator auch defekt (Kapazitätsverlust, zu hohes ESR).
Aufwändige Restaurierung eines Tandberg TR-200: https://tandbergista.home.blog/tr-200/