Defekten Kondensator beim Wählscheibentelefon W49 ersetzen

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1.09.2020

Eines Tages klingelte mein altes Wählscheibentelefon W49 nicht mehr und ich konnte mit ihm auch nicht mehr anrufen.

Die Diskussion über dieses Thema findet auf https://www.wumpus-gollum-forum.de/forum/thread.php?board=73&thread=34 statt.

W49 aus den 1950er Jahren

Ausgehende Gespräche konnte ich auch nicht mehr ausführen. Hebte man den Hörer ab, hörte man nur ein Rauschen und nicht das Freizeichen, weil die angeschlossene Fritz!Box davon ausging der Hörer sei vorher nicht aufgelegt worden.

W49 geöffnet. Der große Kondensator im Metallbecher ist abgeschraubt.
Ein Draht am großen Kondensator ist abgelötet, um Messungen am Kondensator vornehmen zu können.

Das merkwürdige Verhalten erklärte ich mir durch verdreckte Kontakte des Gabelumschalters, die ich mit einem in Kontaktspray getränkten Papierstreifen reinigte. Allerdings zeigte diese Behandlung keine Wirkung.

Nun stellte ich fest, dass das Telefon bei aufgelegtem Hörer zwischen den Anschlüssen La und Lb einen Widerstand von etwa 2000 bis 3000 Ohm zeigte. Normalerweise müsste er unendlich hoch sein. Zwischen den Kontakten La und Lb liegt nämlich bei aufgelegtem Hörer nur die Reihenschaltung aus dem Wecker und einem großen Kondensator, der meisten 1 uF besitzt.

Zwei kleine Kunststofffolienkondensatoren 470nF / 160 Volt in parallel geschaltet ersetzen den alten Kondensator, der sich links im  Blechgehäuse findet.

Diesen 1uF-Kondensator klemmte ich ab. Sein ohmscher Widerstand betrug 175 Ohm und somit war dieser Kondensator defekt. Der Fehler war also gefunden und dies erklärte auch, warum zwischen La und Lb bei aufgelegten Hörer der Wicklungswiderstand des Weckers plus die 175 Ohm vorhanden war. Dadurch erkannte die Fritz!box nicht, dass der Hörer aufgelegt war.

Diesen großen Kondensator in seinem Blechbehälter gibt es natürlich nicht mehr als Ersatzteil und wenn, dann ist er schon alt und wahrscheinlich schon defekt. Deshalb ersetzte ich ihn durch die Parallelschaltung zweier Kunststofffolienkondensatoren mit den  Werten 470 nF / 160 Volt. Das Telefon funktionierte wieder auf Anhieb einwandfrei.

Allerdings waren die beiden Kondensatoren noch neben dem ursprünglichen Kondensator angebracht. Wer das ursprüngliche Erscheinungsbild erhalten möchte, kann die Teermasse des alten Kondensators herauskratzen oder durch Erhitzen entfernen und die neuen Kunststofffolienkondensatoren einsetzen. Mal sehen, wann ich dazu komme. Auf jeden Fall funktioniert das Telefon wieder einwandfrei.

Der alte Kondensator lässt sich durch Erwärmen mit einer Heißluftpistole herausziehen. Das erwärmte Blechgehäuse hält man mit einem alten Handtuch fest und zieht dann den Kondensator mit Hilfe einer Zange heraus.

Nach etwa 10 Minuten Erwärmung mit einer Heißluftpistole konnte der alte Wickelkondensator herausgezogen werden.
Die verbleibende Vergussmasse dient als willkommen Isolation. Am Rand schaben wir etwa 1 mm ab, damit später der Deckel aus Pertinax darauf sitzen kann. Die unschönen Teerspritzer auf dem Gehäuse lassen sich mit Kriechöl wegwischen.
4 x 0,56 uF ergeben 2,24 uF, damit der Wecker an der Fritz!Box schön laut klingelt. Die 160 V Spannungsfestigkeit sind mehr als ausreichend, da das Telefon wohl nie wieder an einer richtigen Freidrahtleitung betrieben wird, die sich durch Gewitter aufladen kann.
Die Anschlussdrähte zu den modernen Kunststofffolienkondensatoren sind durch die Löcher der Pertinaxplatte zu führen, um sie an den Lötösen zu verlöten. Nach dem Umbiegen der beiden Laschen hält alles fest und nichts wackelt. Ein Vergießen ist nicht notwendige. Vielleicht öffnet jemand in 100 Jahren den Metallbecher und wundert sich.
Dieses Foto dient als Merkhilfe für die richtige Verdrahtung
Der Kondensator ist wieder eingebaut. Ein Unterschied ist auf dem ersten Blick nicht zu erkennen. Für das erste Mal ein annehmbares Ergebnis.

Ein Konditor hätte es vielleicht besser hingekommen. Die Vergussmasse aus Teer oder Bitumen erinnert an eine erhitzte Schokolade. Der Geruch hält sich in Grenzen. Dennoch sollte man das Fenster zum Lüften aufmachen.

Das Telefon klingelt nach der Prozedur nach meinem Empfinden durch die Erhöhung des Kapazitätswertes etwas lauter. Ansonsten funktioniert alles wie gehabt.

Die Bezeichnung 7.61 bedeutet, dass der Kondensator im Juli 1961 hergestellt worden ist. Das Telefon stammt demnach aus dem Jahr 1961 oder 1962.

Der Erhöhung des Kapazitätswertes von 1 auf 2 uF kann sich durchaus lohnen, was von der jeweiligen Fritz!Box abhängig ist. Ein Test an der FB 7113 ergab ein lauteres Klingeln. Mit 1 uF klang das Läuten eher schwächlich und unregelmäßig.