Der Malzbonbon-Fall – Ein typischer Reparaturfall in einem alten Röhrenradio

21.10.2014 (am 17.11.2023 überbarbeitet)

Papierkondensatoren, Wackelkontakte, verschmutzte Kontakte, schlechte Lötstellen und defekte Elkos sind die häufigsten Fehlerursachen in alten Röhrenradios. Nachfolgend die Geschichte einer erfolgreichen Reparatur mit den üblichen Tücken, wie sie fast schon typisch bei der Reparatur alter Röhrenradios sind.

Zusammenfassung: Ein defekter Papierkondensator (hoher Leckstrom) zwischen Masse und Pin1 (Schirmgitter) der Mischröhre ECH81 führte zu einem unempfindlichen Empfang auf den AM-Bändern. Der Empfang auf UKW schien noch unauffällig zu sein. Durch den Austausch des Kondensators wurde ein Draht verbogen, was zu einem Wackelkontakt mit Aussetzen des Empfangs führte.

Die Fehlererscheinung: Fast zwei Jahre lang spielte mein restauriertes  Radio – ein Superhet – zuverlässig und war fast täglich einige Stunden im Einsatz. Doch eines Morgens mitten im laufenden Betrieb beim Empfang des Deutschlandfunks auf 1269 kHz (Mittelwelle), verschwand der Sender fast vollständig. Erst dachte ich, es ist Fading, aber der Sender kam nur noch schwach und es war auch auch kein Rauschen zu hören. Auf dem unteren Teil der Mittelwelle waren noch viele Sender zu hören, auf dem oberen Drittel war noch nicht einmal ein leises Rauschen bei voll aufgedrehter Lautstärke zu vernehmen. Das kam mir schon verdächtig vor. UKW ging noch gut und die anderen AM-Bänder verhielten sich in Ermangelung fehlender Vergleichsmöglichkeiten unauffällig.


Mein Radio (Luxor Sopran 797 W) wurde ein Fall für die Werkstatt, da es im laufenden Betrieb auf den AM-Bereichen unempfindlich wurde.


Zum Glück musste ich das Chassis nicht ausbauen, um den Fehler zu beheben. Es reichte die untere Abdeckung zu entfernen und natürlich die Rückwand. Die weiche Unterlage ist ein Muss, um das Gehäuse nicht zu zerkratzen.

Die Fehlersuche: Ein Schaltbild lag mir nicht vor. Aber es geht auch ohne Schaltbild, wenn man die Grundlagen der Schaltungstechnik kennt und weiß, wie ein Superhet funktioniert und sein Blockschaltbild aufgebaut ist. Auch sollte man die typischen Fehler der Bauteile kennen. Bei der Fehlersuche bin ich deshalb nicht streng systematisch vorgegangen, sondern habe als Praktiker zuerst die Bauteile und Baugruppen unersucht, die eine hohe Ausfallwahrscheinlichkeit besitzen, wobei in diesem speziellen  Fall schon viele Fehlerquellen ausgeschlossen werden konnten, da das Radio ja auf UKW gut spielte und nur die AM-Bereiche betroffen waren. Der Fehler musste demnach wahrscheinlich weit vorne im Signalzug liegen. Den schwachen Empfang konnte ich auch mit einem Signalinjektor am Antenneneingang bestätigen.


Bei der Fehlersuche sollte man das typische Blockschaltbild eines Röhrensuperhets mit seinem ebenso typischen Röhrensatz vor seinem geistigen Auge haben, um den Fehler systematisch einkreisen zu können. Somit lassen sich auch ohne Schaltbild Fehler finden.

Also das Radio (Luxor Sopran 797 W) in die Werkstatt geschleppt und erst einmal die Kontakte des Wellenschalters mit Bremsenreiniger und dann mit ölhaltigem Elektronikkontaktspray gereinigt. Sehr sehr oft sind es ja nur schlechte Kontakte. Leider kein Erfolg. Macht nichts. Schaden tut so eine Reinigung nie. Dann die ECH81 gegen ein geprüftes Exemplar ausgetauscht und die Kontakte am Sockel und an der Fassung gereinigt. Oft ist die ECH81 verbraucht, was zu schwachem Empfang und zum Aussetzen des Oszilators führen kann. Der Austausch brachte allerdings keine Änderung des Fehlerbildes. Die Anodenspannungsversorgung war auch in Ordnung.


Die Fassung der Mischröhre ECH81. Aufgefallen ist mir der schwarze Wima-Tropydur-Kondensator zwischen Masse und einem Schirmgitteranschluss (Pin 1 der ECH81).


Die in einer teerartigen Masse versiegelten Papierkondensatoren der Marke Wima-Tropydur haben besonders hohe Ausfallraten unter den Kondensatoren mit Papierisolation. Sie haben schon vor Jahrzehnten dank ihrer hohen Leckströme viele Arbeitsplätze in den Reparaturwerkstätten gesichert. Ihres Aussehens wegen wurden sie Malzbonbons genannt.

Dann schaute ich mir die Bauteile an, die am der Fassung der ECH81 verbaut wurden. Hier fiel mir ein kleines Exemplar von 22nF dieser schwarzen immerzu verdächtigen Wima-Tropydur-Malzbonbon-Kondensatoren zwischen Masse und Pin 1 (eines der Schirmgitter) der ECH81 auf. Ein Schaltbild hatte ich nicht, aber laut anderer Schaltbilder ähnlich aufgebauter Radio sollten an diesem Gitter etwa 80 Volt anliegen. Gemessen hatte ich nur 6 Volt. Nun können sich die meisten Leser schon denken, dass dieser Abblockkondensator einen zu hohen Leckstrom hat und zusammen mit dem Vorwiderstand des Schrimgitters einen Spannungsteiler bildet. Somit bricht die Spannung am Schirmgitter zusammen. Je weniger Schirmgitterspannung, desto geringer die Verstärkung.

Die Fehlerbehebung: Darauf hatte ich den Kondensator gegen einen modernen Kunststofffolientyp ausgetauscht und das Radio spielte wieder wie es sollte. Das Schirmgitter hatte nun wie erwartet eine Spannung von 80 Volt. Mit dem Ohmmeter konnte der defekte Kondensator nicht entlarvt werden, weil der Leckstrom bei den defekten Papierkondensatoren mit der Spannung überproportional steigt. Übrigens hatte der Vorwiderstand für dieses Gitter nicht mehr 22 kOhm, wie aufgedruckt, sondern 37 kOhm. Ich habe ihn nicht ausgetauscht, weil die Spannung ja trotzdem in Ordnung ist. Ich entdeckte noch einen anderen „Malzbonbon“, den ich dann auch gleich vorsorglich ersetzte.


Eingebaut hatte ich einen gelben Kondensator 0,047uF/400Volt der Marke Philips. Diese Bauform ist zuverlässig. Der neue Wert muss bei Abblockkondensatoren nicht exakt eingehalten werden. Den alten Malzbonbon hatte ich zur Erinnerung im Gerät belassen und nur einseitig abgezwickt. Sollte das Radio in 100 Jahren noch existieren, dann sind einige Spezialisten dafür dankbar, denn sie können dann ablesen, was dem Radio widerfahren ist.

Soll man gleich alle Papierkondensatoren tauschen? Nun kann man sich fragen, ob man die Malzbonbons gleich alle austauschen soll oder nicht. Wenn ich ein Radio einem anderen überlassen würde, dann würde ich nach dieser Erfahrung eher zur Radikalkur neigen. Aber so lange ich die Radios selber nutze, kommt es auf den Einzelfall an. Auf jeden Fall wechsle ich die Koppelkondensatoren und messe die Spannungen nach. Abgesehen davon macht mir ja die Fehlersuche Spaß und deshalb bin ich ja den „Malzbonbons“ irgendwie dankbar.

Die Enttäuschung im Wohnzimmer: Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Es gab Komplikationen. Nachdem ich das Radio schön zusammengebaut und vom Keller ins Wohnzimmer geschleppt hatte, Antenne, Erde und Strom angeschlossen hatte, kam die Ernüchterung: Lautes Krachen auf allen AM-Bändern! Bei voll aufgedrehter Lautstärke ein schnarrender Rückkopplungseffekt. Also wieder zurück in die Werkstatt. Es muss wohl ein Wackelkontakt sein. Da der Fehler nur auf den AM-Bändern auftritt, muss der Fehler wahrscheinlich irgendwo wieder in der Nähe der ECH81 oder am Wellenschalter liegen. Rüttelte man an der ECH81, konnte das Krachen provoziert werden Mit einem Holzstäbchen wackelte ich an den Bauteilen herum. Direkt an der Fassung der ECH81 war alles in Ordnung. Aber in der Nähe war ein blauer Röhrchenkondensator, der mit langen, isolierten Anschlussdrähten mit dem Wellenschalter verbunden war. Rüttelte man an den Anschlussdrähten des Kondensators, hörte man das Krachen. Jetzt musst man schon genau hinsehen. Dieser Kondensator berührte manchmal die blanke Abschirmung eines anderen Kabels, was zu einem Abbruch des Empfangs führte. Bei voll aufgedrehter Laustärke entstand dadurch sogar eine Rückkopplung durch einen akustisch gesteuerten Wackelkontakt. Der Kondensator wurde etwas verlegt und der Fehler war weg. Den Fehler habe ich wahrscheinlich selbst erzeugt, als ich beim Tausch des Malzbonbon-Kondensators einen Draht ganz leicht verbog.


Wenn der blaue Röhrchenkondensator die blanke Abschirmung berührte, setzte der Empfang aus.


Der Fehler konnte durch Verbiegen und Umlöten des Anschlussdrahtes behoben werden.

In der Werkstatt merkte ich den Fehler nicht, denn dort war das Radio seitlich gekippt. Nur in der normalen Betriebslage senkte sich der Kondensator etwas durch die Schwerkraft und berührte die Abschirmung des Kabels. Wer noch nie ein altes Radio repariert hat, sollte vorher mit dem Wissen gewappnet sein, dass es fast nie so läuft, wie man sich das denkt.

Was man als Anfänger nicht machen sollte: Oft werden dann gleich auf einen Schlag alle Kondensatoren und noch mehr Teile getauscht, wobei dann oft noch mehr Fehler entstehen, wenn einem die Erfahrung fehlt. Anfänger sind dann völlig überfordert. Den besagten Wackelkontakt habe ich ja wahrscheinlich selbst erzeugt, weil ich beim Tausch eines nur einzigen Kondensators einen Draht ganz leicht verbogen hatte. Was hätte alles passieren können, wenn ich 10 Kondensatoren gewechselt hätte? Bei der Durchsicht vieler in Handarbeit frei verdrahteter Chassis ist mir aufgefallen, dass einige Bauteile sehr dicht beieinander liegen. Das ist typisch, dass der Austausch eines Bauteils wieder einen anderen Fehler verursacht.

Vorsicht beim Tausch von Bauteilen im UKW-Teil: Zum einen sind die Keramikkondensatoren eines UKW-Teils sehr selten defekt. Zum anderen sind sie temperaturkompensiert. Wird ein solcher Kondensator im Oszillator gewechselt, dann läuft die Frequenz in der Regel so stark weg, dass der UKW-Empfang unbrauchbar wird.

Meine allgemeine Vorgehensweise bei der Fehlersuche: Bei meiner Vorgehensweise suche ich erst einmal systematisch die Stufe, in der der Fehler stecken muss. Dazu kan ein Signalinjektor helfen,  wobei ich mich von hinten nach vorne, also in Gegenrichtung des Signalwegs, durcharbeite. Wenn dann die Stufe lokalisiert ist, die höchstwahrscheinlich defekt ist, untersuche ich nach der Ausfall-Wahrscheinlichkeit die einzelnen Bauteile. Das gelingt auch ohne Schaltbild.

Ganz allgemein muss man also erst einmal die Stufe finden, in der der Fehler höchstwahrscheinlich stecken muss. Dazu hilft die Kenntnis darüber, wie ein Superhet Stufe für Stufe organisiert ist. Dabei muss man nicht einmal so sehr im Detail wissen, wie die einzelnen Schaltungen funktionieren. Wenn kein Schaltbild vorliegt, kann man das ja auch nur bedingt. Es reicht oft nur zu wissen, was die einzelnen Stufen eigentlich machen. Die Röhrenbezeichnung der betreffenden Stufe gibt darüber Auskunft. Eine EL84 ist immer die NF-Endstufenröhre, eine ECH81 immer für die Oszillaotor-Mischstufe da und so weiter. Um die entsprechende Stufe zu finden, hilft ein Signalinjektor und etwas Überlegen. Hat man die verdächtige Stufe eingekreist, dann kann man ganz gut nach der Ausfall-Wahrscheinlichkeit der Bauteile vorgehen, weil ja nur noch relativ wenige Bauteile in Betracht kommen. Die folgende Reihenfolge hat sich bei mir als ganz praktisch bewährt:

1. Sichtkontrolle, ob der Heizfaden der Röhre glüht und ob Bauteile verschmort aussehen.

2. Merkwürdiger Geruch und/oder Hitzeentwicklung? Rauch? Glühende Anodenbleche?

3. Anodensversorgungsspannung messen.

4. Die Kontakte an Schaltern und Röhrensockeln und Fassungen reinigen.

5. An allen Bauteilen mit einem Holzstäbchen auf der Suche nach kalten Lötstellen und Kurzschlüssen herumwackeln.

6. Die Spannungen an den Elektroden der Röhre messen. Oft kann dann der Fehler schon weiter eingekreist werden.

7. Im ausgeschalteten und vollkommen spannungsfreien Zustand alle Widerstandswerte nachmessen. Dies geht meistens ohne Ausbau der Widerstände.

8. Röhre gegen eine Teströhre tauschen, von der man weiß, dass sie funktioniert. Sie kann aus einem anderen Radio sein.

9. Die Papierkondensatoren und Elkos der betreffenden Stufe tauschen.
Die Reihenfolge ist nicht bindend und dient nur als Vorschlag. Die Reihenfolge hängt auch etwas von der betreffenden Stufe im Radio ab. Die eigenen Erfahrungen spielen dabei selbstverständlich auch eine große Rolle.