Chassis alter Röhrenradios waschen und reinigen

Die Frage, wie die Chassis alter Röhrenradios gereinigt werden sollen, löst nicht selten scheinbar endlose und kontroverse Diskussionen aus. Das eine Lager ist strikt gegen die Anwendung von Wasser und Spülmittel, während das andere Lager auf Waschen mit Wasser schwört und selbst vor dem Einsatz der Geschirrspülmaschine nicht zurückschreckt. Eine eindeutige Antwort scheint es nicht zu geben.

Bereits im März 2008 stellte ich die Frage im Wumpus-Gollum-Forum zur Diskussion, die sich bis zum Mai 2013 hinzog. Nachfolgend möchte ich die wichtigsten Aussagen zusammenfassen und meine eigenen Erfahrungen einbringen. Ob nun mit Wasser gewaschen werden soll, hängt vom Einzelfall ab, wobei jeder für sich eine Risikoabschätzung eingehen muss. Eine allgemeine Empfehlung scheint es nicht zu geben.

Reinigen birgt immer ein Risiko: Grundsätzlich birgt jede Reinigung Gefahren. Lösungsmittel jeder Art können über die Kapillarwirkung in die Bauteile eindringen und dort langfristige Schäden anrichten. Der gelöste Schmutz muss wieder entfernt werden, wobei durch Wischen und Bürsten Oberflächen und Beschriftungen eine mechanische Beschädigung erleiden. Vor allen Dingen die dünnen Spulendrähte sind leicht zu übersehen und werden abgerissen. Zu den gefährlichen organischen Lösungmitteln gehört z.B. Brennspiritus, Benzin, Äther und Aceton. Sie greifen Kunststoffe an und lösen Farbschichten ab. Insbesondere zerstören sie die  Spulenkörper aus Polystyrol, während Pressstoffe wie Bakelit dagegen relativ resistent sind. Relativ harmlos für das Reinigen ist Iso-Propanol, welches  bei längerer Einwirkung ebenfalls Kunststoffe angreift.

Besondere Gefahren des Wassers als Reinigungsmittel: Jeder weiß natürlich, dass Feuchtigkeit auf Dauer zu Rost und Schimmel führt und die Elektronik und Mechanik ruiniert. Deshalb ist die Hemmschwelle groß, die Elektronik mit Wasser in Berührung zu bringen. Wasser mit Spülmittel birgt besondere Gefahren. Zur Reinigung wird es mit Detergenzien – also Seifen – versetzt, um Fett lösen zu können. Das Spülmittel sorgt für eine Herabsetzung der Oberflächenspannung, wodurch es mit Hilfe der Kapillarkräfte in feine Ritzen und Spalten dringt, von wo es wieder schwer verdunstet. Transformatoren und Spulen sind deshalb besonders betroffen. Die alten Transformatoren sind nicht vergossen und deren Kerne bestehen aus verschachtelten Blechen. In die Ritzen dringt Wasser ein, das langfristig zu Rost führt. Nicht nur Rost ist ein Problem. Wirkt Wasser längerfristig ein, quillt zum Beispiel Pertinax an seinen Bruchkanten auf. Die Skalenseile können sich dauerhaft etwas dehnen. Deshalb ist die Skalenführung aufzuschreiben.

Die größte Gefährdung erleiden unvergossene Transformatoren, besonders wenn sie altersbedingt eine brüchige Isolation besitzen. Sie sind sicherheitshalber vor dem Waschen auszubauen oder wenigstens mit Klebeband vor dem Wasser zu schützen.

Trockenvorgang: Nach dem Waschen mit Wasser muss so schnell wie möglich getrocknet werden. In der Industrie werden dafür Vakuumkammern eingesetzt, welche sehr teuer sind. Ein Trocknen im häuslichen Backofen über 12 bis 16 Stunden bei 50 bis 60 °C scheint eine ausreichende Trocknung zu bewirken. Über 65 °C fängt das Wachs, welches die Abgleichkerne fixiert, zu schmelzen an. Die Temperatur muss also mit einem externen Thermometer genau überwacht werden. Besondere Vorsicht besteht, wenn das Chassis bereits thermoplastische Kunststoffe enthält, zum Beispiel Spulenkörper und Halterungen aus Polystyrol, wie sie ab den 1950er Jahren verwendet wurden. In diesem Fall würde ich nicht über 40 °C gehen.

Einen Trocknen der Chassis über zwei Tage in praller Sonne an einem heißem Sommertag soll übrigens nach den Erfahrungen eines befreundeten Funkamateurs ausreichend sein. Die Chassis wurden vorher in einer Seifenlösung regelrecht gebadet.

Elektrische Kontakte und bewegliche Teile: Nach jedem Reinigen werden natürlich die elektrischen Kontakte und beweglichen Teile mit den üblichen Mitteln wie HF-Kontaktspray (Tuner-Spray) und harzfreien Ölen geschmiert und gereinigt. An die Skalenseile darf kein Öl gelangen.

Skalengläser und Röhren keinesfalls waschen: 1. Das Skalenglas niemals waschen, da die Bedruckung auf der Innenseite extrem empfindlich ist und noch nicht einmal berührt werden sollte. 2. Die Röhren nicht waschen, welche vor dem Reinigen immer ausgebaut werden. Die Röhren lassen sich mit Glasreiniger und Wattestäbchen reinigen, wobei kein Tropfen Glasreiniger an die Beschriftung kommen darf.  Es darf auch keine Flüssigkeit in den Röhrensockel eindringen. Alte Röhren haben einen Sockel aus Bakelit, dessen Verklebung schadhaft ist. Durch die Ritze dring dann Wasser ein. Das Skalenglas und die Röhren müssen also vor dem Waschen ausgebaut werden!


Durch Küchdunst mit Fett und Staub verdrecktes Röhrenchassis.


Nach der Reinigung mit Wattstäbchen, Klopapier und Glasreiniger. Diese Methode ist sehr schonend. Nach zwei Stunden sah das Chassis wieder fast wie neu aus.

Die klassische Methode mit Glasreiniger und Wattestäbchen: Ist der Grad der Verschmutzung nicht so schlimm, kann der Luftstrom eines Staubsaugers die lose Staubschicht wegblasen. Beim Einsatz eines Pinsels sind die dünnen Spulendrähte mit Vorsicht zu behandeln. Dann wird mit Toilettenpapier, vielen Wattstäbchen, alten Zahnbürsten und Glasreiniger in allen Ecken und Kanten gewischt und geputzt, bis nach etwa 2 Stunden das Chassis einen sauberen Eindruck macht. Diese Methode ist sehr schonend und nach der vorherrschenden Meinung unumstritten und sollte verwendet werden, wenn die Unterseite des Chassis wenig verschmutzt ist.

Waschen mit Wasser: Nachfolgend eine bebilderte Dokumentation über das Waschen eines völlig verdreckten Chassis, das vielleicht seit 60 Jahren nicht mehr gereinigt wurde. Es war zudem voller Spinnweben und Spinnennester. Ein Reinigen mit dem Pinsel löste Hustenreiz aus. Deshalb entschloss ich mich für das Waschen mit Wasser. Nicht zuletzt ging es mir auch um eine Desinfektion.

Stern & Stern, Concerton V442
Flohmarktfund: Stern & Stern, Concerton V442, Baujahr 1942. Innen und Außen teilweise ekeleregend verdreckt.


Das Chassis nach dem Ausbau. Die Gleichrichterröhre ist schon entfernt.


Eine dicke Staubschicht und Spinnweben überziehen das  Chassis.


Nahaufnahme: Der Drehkondensator, die Filter und Röhren vor der Reinigung.


Auch die Bauteile sind mit Spinnenweben und Insektenkot überzogen. Mit einem Pinsel ist der Schmutz schwer zu entfernen, ohne dass es zum Abreißen von Drähten kommt. Ohne Reinigung wird die Reparatur zu einer ekelhaften Angelegenheit. Dies war der Hauptgrund, warum ich mich für das Waschen mit Wasser entschloss.


In der Dusche sprühte ich das Chassis von allen Seiten mit Badreiniger ein. Vorher hatte ich auf der Oberseite den Staub grob mit einem Pinsel entfernt.


Nach einigen Minuten des Einwirkens muss der ganze Schmutz, der sich nun gelöst hat, weggespült werden. Da hilft nur die Brause mit warmen Wasser. Das habe ich nur so kurz wie möglich gemacht, damit möglichst wenig Wasser in die Trafos und Spulen eindringt. Nach einer Minute war der Dreck abgebraust.


Nach dem Abtropfen wurde sofort geföhnt, damit vor allen Dingen kein Wasser mehr in die Papierkondensatoren eindringen kann, deren Teerabdichtungen schadhaft sind. Einige Papierkondensatoren müssen so oder so ersetzt werden. Es kommt auf deren Leckströme an und ob diese je nach Funktion die Schaltung negativ beeinflussen.


Diesen Schritt kann man sich sparen, denn nach der Dusche  sah das Chassis schon sehr sauber aus. Da ich aber einen Geschirrspüler habe, wollte ich eine kurze Reinigung im Geschirrspüler ausprobieren, was allerdings nicht unbedingt notwendig war. Das Chassis wurde nur für einige Minuten im Geschirrspüler belassen, als das Wasser bereits warm war und das Reinigungspulver schon aufgelöst war. Danach habe ich wieder unter der Dusche das Chassis abgebraust und anschließend geföhnt. Übrigens ist bei uns das Leitungswasser so arm an Kalk, dass die Spülmaschine kein Salz benötigt. Auf jeden Fall immer mit warmen Wasser das Chassis unter der Dusche abbrausen.


Dieser Schritt ist ganz wichtig. Für 12  bis 16 Stunden kommt das Chassis bei 50  bis 60 °C in den Backofen, den ich auf Umluft gestellt habe. Nur so verschwindet das Wasser aus den Trafos, Spulen und Papierkondensatoren. Die Temperatur ist mit einem externen Thermometer genau zu kontrollieren, da 65 °C nicht überschritten werden dürfen, denn sonst fängt das Wachs für die Fixierung der Spulenkerne an zu tropfen. Dem Thermostaten des Backofens ist nicht zu vertrauen. Von Vorteil ist, dass dieses Chassis noch keine thermoplastischen Kunststoffe enthält, die sich in der Hitze verformen könnten. Am nächsten Tag habe ich das Chassis nochmals für mehrere Stunden im Ofen getrocknet.


Oberseite nach der Reinigung und Trocknung.


Der Drehkondensator glänzt. Seine Lager sind sofort mit Kriechöl zu behandeln, damit sie nicht festfressen. In etwa so sahen die Chassis aus, als sie frisch aus der Fabrik kamen.  Ein „ofenfrisches“ Chassis sieht viel appetitlicher aus.


Auch die Unterseite ist so sauber, dass das Reparieren  Freude bereitet.


Die Spinnweben sind verschwunden. Die Bauteile sind gut zu erkennen. Die Papieraufkleber der Kondensatoren sind lesbar und haben sich nicht abgelöst. Auch die Verdrahtung lässt sich besser erkennen, was die Reparatur erleichtert.

Welche Schäden hatte das Chassis und welche Maßnahmen mussten ergriffen werden? Da das über 70 Jahre alte Chassis vor dem Waschen nicht in Betrieb genommen wurde, ist es leider ungewiss, welche Schäden durch das Waschen entstanden sind. Getrocknet wurde das Radio nur 5 bis 7 Stunden im Backofen bei 50 bis 60 °C, was ich im nachhinein als zu kurz ansehe. Beim nächsten Mal kommt es für 16 Stunden in den Backofen. Folgende Schäden wurden festgestellt und beseitigt:

1. Der Netztrafo wurde wegen Windungsschluss heiß und erzeugte einen stechenden Geruch. Wie die Fotos zeigen, hatte der Netztrafo schon vor dem Einschalten dunkelbraune Brandflecken auf dem Isolationspapier. Er war mit Sicherheit schon beim Kauf defekt.

2. Der NF-Ausgangsübertrager hatte eine Unterbrechung in der Primärwicklung. Merkwürdige, unregelmäßige Zischgeräusche, welche an der Anode der Triode der zweiten ECH4 mit einem externen Verstärker abzuhören waren, verschwanden erst, nachdem die Sekundärwicklung von der Gegenkopplung getrennt wurden. Wahrscheinlich gab das nicht ausreichende Trocknen dem Ausgangsübertrager „den Rest“ oder er war schon vorher defekt.

3. Ein Elko 50 uF / 10 Volt für die Erzeugung der negativen Gittervorspannung war vollkommen ausgetrocknet und ohne Kapazität. Dies ist ein altersbedingt typischer Fehler.

4. Die beiden Elkos des Netzteils mussten formiert werden und waren dann in Ordnung. Dies ist auch eine altersbedingte Erscheinung, die für alte Radios typisch ist. Beim Formieren war der Becherlko liegend und nicht aufrecht. Dadurch tropften innerhalb von ein paar Stunden etwa 20 ml einer klaren, gelben Flüssigkeit aus dem Elko durch sein oberen Überdrucklöcher. Trotzdem haben die Elkos ihre volle Kapazität und kaum Leckströme.

5. Die Koppelkondensatoren an den NF-Stufen wurden vorsorglich gewechselt, damit deren Leckströme nicht den Arbeistpunkt der Röhren verstellen können. Dies ist eine obligatorische Maßnahme bei allen alten Röhrenradios.

6. Die Triode der letzten ECH4 dient zur NF-Verstärkung. Zur Abblockung der HF ist zwischen Masse und Anode ein 300 pF großer Papier-Kondensator angebracht. Er hatte mit dem Ohmmeter gemessen einen Widerstand von etwa 3 kOhm, wodurch die Anodenspannung auf wenige Volt zusammenbrach. Dadurch funktionierte das Radio natürlich nicht mehr. Ob dieser Fehler durch das Waschen entstanden ist, ist die Frage. Papierkondensatoren sind altersbedingt anfällig.

7. Viele Leitungen hatten eine brüchige Isolation, welche beim Verbiegen der Drähte brach und zersplitterte. Deshalb mussten einige Kabel aus Gründen der elektrischen Sicherheit ausgewechselt werden. Dieser Fehler hat aber nichts mit dem Waschen des Chassis zu tun.

8. Schließlich wurde die ZF des Radios mit einem Wobbelgenerator neu abgeglichen, wodurch eine wesentliche Verbesserung der Empfindlichkeit und Trennschärfe eintrat. Altersbedingt können sich aber so oder so die Werte der Kondensatoren und Spulen in den Bandfiltern ändern. Es ist auch möglich, dass vorher schon an den Kernen herumgeschraubt wurde oder nach Gehör abgeglichen wurde. Wer weiß, was das Radio in 70 Jahren alles durchgemacht hat?

9. Zusätzlich wurden noch einige andere Kondensatoren im Zuge der Fehlersuche gewechselt, die verdächtig waren, deren Austausch aber nicht unbedingt notwendig war. Zum Beispiel habe ich einen Koppelkondensator im Oszillator durch einen Styroflex-Typ ersetzt, um die Stabilität des Oszillators zu erhöhen.

10. Das Skalenseil riss kurz vor dem Einbau des Chassis. Das Seil wurde ersetzt. Das Wechseln von Skalenseilen ist hier beschrieben.

11. Die Skalenlampen wurden ausgestauscht. Auch dies hat nichts mit dem Waschen zu tun.

12. Behandlung der Kontakte: Sämtliche Kontakte, auch die der Röhrensockel und Röhrenfassungen, wurden mit HF-Kontaktspray nach dem Waschen behandelt.

13. Schmierung: Die Potis erhielten auch ölhaltiges Kontaktspray. Alle Lager wurden mit harzfreiem Öl geschmiert. Es gab kein Kontaktprobleme oder krachende Potentiometer. Der Drehkondensator lief anfangs etwas schwergängig. Seine Lager wurden mit Kriechöl behandelt und danach kam das Chassis nochmals für ein paar Stunden bei 60 °C in den Backofen. Danach lief auch der Drehkondensator wieder leichtgängig.

14. Für den HF-Abgleich wurden die Kerne mit Elektronikreinigungspray eingesprüht, damit die Kerne leichtgängig werden.


Das reparierte Chassis des Concerton V443 mit einem neuen Netztrafo und einem neuen NF-Ausgangsübertrager. Der Empfang ist empfindlich, trennscharf, frequenzstabil, ohne Verzerrungen und ohne Brumm.


Zum direkten Vergleich nochmals das verdreckte Chassis. Dazwischen liegen viele Stunden Arbeit und Fehlersuche.

Nach der Reparatur hatte das Radio einen einwandfreien Klang, war laut und überraschte besonders auf Kurzwelle durch seine Trennschärfe und Empfindlichkeit. Die Sender liefen nicht weg. Der Oszillator ist also frequenzstabil.