Ein alter Hase aus dem Zeitalter der Elektronenröhren hatte mir verraten, dass der UKW-Empfang alter Röhrenradios deutlich empfindlicher wird, wenn man die UKW-Vorröhre ECC85 durch die modernere Spanngitterröhre PCC88 ersetzt. Allerdings muss man dann aufpassen, dass einem der Vorwiderstand in der Siebkette der Stromversorgung des UKW-Teils nicht abraucht. Was hat es mit der Geschichte auf sich?
Das Thema wird kontroversiell diskutiert. Eine fachkundige Diskussion auf hohem Niveau existiert auf https://www.wumpus-gollum-forum.de/forum/thread.php?board=1&thread=604.
Ich kann nur feststellen, dass die PCC88 seit vielen Jahren bei mir in einem Radio einen hervorragenden Dienst leistet. In anderen Tunerschaltungen können andere Effekte auftreten bis zum Abbrennen von Widerständen.
In der Mitte eine ECC85, rechts und links davon eine PCC88.
Bei beiden Röhren, der ECC85 und PCC88, handelt sich um Doppeltriodensysteme mit pinkompatiblen Anschlüssen. Die ECC85 kam 1954 auf dem Markt und wurde speziell für die UKW-Tuner entwickelt. Sie löste die ECC81 ab, welche 1951 mit der Einführung des UKW-Rundfunks auf den Markt kam.
Die Steilheit einer Röhre sagt aus, um wieviel mA sich der Anodenstrom ändert, wenn sich die Steuergitterspannung um 1 Volt ändert. Je steiler eine Triode ist, desto besser verstärkt sie und desto empfindlicher wird der Empfänger, darf vereinfacht ausgesagt werden, wenn man zum Beispiel das Rauschen und den Innenwiderstand einer Röhre vernachlässigt. Die ECC81 hat eine Steilheit von 5,5 mA/V. Das Nachfolgemodell ECC85 war mit 5,9 mA/V schon etwas besser. Die größere Steilheit gelingt dadurch, dass man den Abstand zwischen Steuergitter und Kathode kleiner macht. Das setzt natürlich mehr Präzision und geringere Fertigungstoleranzen voraus. Außerdem darf sich das Steuergitter durch die Hitze der Kathode nicht verformen. Die ECC81 ist mit der ECC85 übrigens nicht pinkompatibel. Ein Austauschen ist in der Praxis dadurch nicht möglich.
Die Doppeltriode PCC88 wurde für die große Nachfrage nach VHF-TV-Tunern entwickelt und kam 1957 auf dem Markt. Die PCC88 hat eine wesentlich höhere Steilheit von 12,5 mA/V. Ihre beiden Triodensysteme wurden ausschließlich als Kaskodenschaltung verwendet. Die hohe Empfindlichkeit war wichtig für ein klares Bild ohne „Schnee“.
UKW-Teil mit einer ECC85 eines alten UKW-Röhrenradios.
Spanngitterröhren: Die PCC88 stellt einen Quantensprung in der Entwicklung der Röhrentechnik dar. Mit ihr ist es gelungen eine Steilheit von 12,5 mA/V zu erzielen. Das ist mehr als doppelt so viel wie die ECC85 hat. Wie war das möglich, dass es gelungen ist, mit dem Steuergitter noch viel viel dichter der Kathode „auf die Pelle“ zu rücken? Des gelang durch die Spanngittertechnik und Röhren dieser Bauart nennen sich Spanngitterröhren. Die PCC88 ist eine solche Spanngitterröhre. Anders als bei den üblichen Wendelgitterröhren, wurde das Steuergitter nicht als freitragender Wendeldraht um die Kathode geführt, sondern straff um einen Gitterrahmen gespannt. Daher kommt der Name Spanngitterröhre. Zudem ist der Gitterdraht mit 7,5 µm besonders dünn und der Windungsabstand kann enger gelegt werden, was die Steilheit ebenfalls verbessert.
Schon während des Zweiten Weltkrieg wurde die Idee zur Spanngitterröhre erdacht. 1952 wurde die erste europäische Spanngitterröhre von Siemens in Serie hergestellt. Doch bis zur kostengünstigen Massenproduktion hat es noch eine Weile gedauert. Lesenwertes zur Spanngitterröhre findet sich unter den nachfolgenden Links:
– Wikipedia, Spanngitterröhre
– http://www.elektronikinfo.de/strom/spanngitter.htm
– PCC88 in Jogis Röhrenbude
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Röhren-Datenblätter:
– ECC85 (Philips Datenblatt, PDF-Datei)
– PCC88 (2 Seiten, PDF-Datei)
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Der Austausch in der Praxis: Die PCC88 gehört der P-Reihe an, welche alle einen Heizstrom von 300 mA besitzen, damit die Heizfäden dieser Röhren in TV-Geräten in Serie geschaltet werden können. Die ECC85 gehört der E-Reihe an, welche alle eine Heizspannung von 6,3 Volt besitzen, damit alle Heizfäden eines Radios parallel geschaltet werden können. Die PCC88 benötigt eine Heizspannung von 7 Volt. In der Praxis hat es aber fast keinen Einfluss, wenn sie bei 6,3 Volt mit etwas Unterspannung betrieben wird. 10% Unterspannung im Dauerbetrieb schaden nach Barkhausen noch nicht der Emissionsfähigkeit von indirekt geheizten Kathoden. Als diese Röhren eingesetzt wurden, war die Netzspannung auch noch nicht so stabil. Das wurde bei der Röhrenkonstruktion berücksichtigt.
Die maximal zulässige Anodenspannung der PCC88 von nur 130 Volt ist geringer als bei der ECC85. In der Praxis gab es allerdings damit noch keine Probleme. Das Datenblatt der PCC88 zeigt Eingangskennlinien, die bei einer Anodenspannung von 250 Volt aufgenommen wurden. Die ECC85 wird meistens mit Anodenspannungen von unter 200 Volt betrieben. Die gebrauchte PCC88 habe ich nun etwa 1000 Stunden im Betrieb und ein Leistungsabfall ist noch nicht feststellbar. Dennoch sollte man die PCC88 nur dann einsetzen, wenn die 130 Volt Anodenspannung nicht überschritten werden.
Das eine Triodensystem der ECC85 wird als Oszillator und Mischer betrieben, während das andere Triodensystem als Eingangsverstärker geschaltet ist. Damit keine HF des Oszillators an die Antenne gelangt, ist zusätzlich eine Abschirmung im Röhrensystem eingebaut. Bei der PCC88 wurde darauf keine Rücksicht genommen, da sie für eine Kaskodenschaltung optimiert wurde. Empfangsstörungen auf der Oszillatorfrequenz habe ich dennoch noch nicht bemerkt. Der Oszillator ist ja durch die Eingangstriode von der Antenne getrennt.
Schaltung eines UKW-Teils aus dem Jahre 1955 (Braun 555 UKW).
UKW-Tuner im Braun 555 UKW. Der sitzt auf dem Drehkondensator.
Bedingt durch die etwa doppelt so hohe Steilheilt der PCC88 zieht diese Röhre einen höheren Anodenstrom. Dies kann tatsächlich zur Überlastung des Siebwiderstandes für die Spannungsversorgung des UKW-Teils führen. Dieser Widerstand ist also zu beobachten und gegebenenfalls gegen ein Exemplar mit größerer Verlustleistung auszutauschen. Wer will, kann einen höheren Widerstandswert wählen, um die Anodenspannung herabzusetzen. So kann ein optimaler Arbeitspunkt mit höchster Empfindlichkeit gefunden werden.
Typisches Schaltbild eines VHF-Fernseh-Kanalwählers aus dem Jahre 1961 mit einer PCC88 in Kaskodenschaltung und einer PCF86 als Mischer und Oszillator.
Die Empfangsverbesserung ist auf jeden Fall deutlich hörbar. Nun streiten sich einige Geister, ob eine Schaltungsveränderung im Sinne einer Restaurierung ist. Das muss eben jeder sehen wie er will. Schon in den 60er Jahren haben pfiffige Radiobastler die ECC85 gegen eine PCC88 ausgetauscht. Zudem schlummern in vielen Röhrenkisten viele PCC88, für die es sonst keine Verwendung gäbe. So schont man seine ursprünglichen Bestände an ECC85-Röhren.
Wir wäre es denn mit einem transistorisierten UKW-Vorverstärker? Falls wir eine verbrauchte und unempfindlich gewordene UKW-Röhre in unserem Radio haben, können wir sie noch eine Weile im Radio belassen und so unseren Geldbeutel schonen.
Störstrahlproblematik: Eine PCC88 hat andere Kapazitäten zwischen den Elektroden als eine ECC85. Dies kann zu einer unzulässig hohen Abstrahlung des Oszillatorsignals über die Antenne führen, weshalb ein nicht gerader einfacher Neuabgleich mit der Hilfe eines Spectrum-Analyzers streng genommen notwendig wäre. Für eine grobe Überprüfung würde ein DVB-T-Stick ausreichen. Unter http://www.radiomuseum.org/forum/russische_roehre_6n1p_als_ersatz_einer_ecc85.html#1 steht mehr. Was für die 6N1P als Ersatz gilt, gilt im Prinzip auch für die PCC88. Jeder Fall kann anders liegen. In meinen Fall war die Abstrahlung des Oszillatorsignals bei der ECC85 sogar höher.
Die 6N1P ist übrigens eine NF-Röhre mit recht hohen Exemplarstreuungen und geringer Steilheit. Nach meinen Experimenten ist sie als ein Ersatz in UKW-Stufen vollkommen ungeeignet. Die Angaben von einigen Röhrenanbietern, die 6N1P sei ähnlich der PCC88, ist irreführend.
Nachtrag vom 10. Juli 2014: Leider ist die PCC88 dank argloser Röhren-Audio-Verstärker-Freaks, die nicht wissen, dass sie damit manchmal unfreiwillig einen UKW-Sender bauen, so hoch im Preis gestiegen, dass man bei einer Neuanschaffung lieber gleich zur ECC85 greifen sollte. Auf die paar Euro kommt es nun wirklich nicht an. Dabei machen die ausgeprochen guten HF-Eigenschaften der PCC88, die als rauscharme und steile Spanngitterröhre für VHF-Tuner als Kaskodenschaltung entwickelt wurde, in einem NF-Vorverstärker überhaupt keinen großen Sinn. Die Röhrenverstärkerbauer tun sich mit ihren PCC88 oder ECC88 keinen großen Gefallen, wenn eines Tages der Funkmesswagen vor der Tür steht. Dafür gibt es ja zum Beispiel die 6N1P zum Spottpreis, die für Audio-Anwendungen besser geeignet ist.
Nun habe ich aber eine Menge PCC88, die noch aus meiner jugendlichen Fernseher-Ausschschlachtzeit stammen und nun auf eine sinnvolle Verwendung warten. Für NF-Basteleien ist mir diese ausgesproche HF-Röhre einfach zu schade.
Also betreibe ich, da ich so viele von den PCC88 habe, seit etwa zwei Jahren eine PCC88 in meinem UKW-Radio Luxor Tapto. Wie so oft war auch dieses Radio besonders auf UKW taub, weil wohl jemand irgendwann mal an allen möglichen „Schrauben“ herumgedreht hatte, um den Polizeifunk hereinzubekommen. Ein Neuabgleich des UKW-Tuners war also so oder so notwendig.
Die PCC88 verträgt nur maximal 130 Volt Anodenspannung laut ihrem Datenblatt. Die ECC85 wird aber meistens zwischen 120 und 200 Volt betrieben. In meinem Luxor Tapto wird die Vorröhre laut dem vorläufigen Schaltbild, das mir vorliegt, mit 185 Volt betrieben. Die andere Triode, die als Mischer/Oszillator dient, hat laut Schaltbild eine Anodenspannung von 85 Volt. Trotzdem ist die Röhre wegen der zu hohen Anodenspannung immer noch nicht gestorben. Wie lässt sich das erklären?
Ich habe in meinem Radio nachgemessen. Bei der PCC88 hat die Eingangs-Triode tatsächlich nur 94 Volt statt 185 Volt. Das ist fast schon der empfohlene Werte für die PCC88, der bei 90 Volt liegt. Die andere Triode hat eine Anodenspannung von 63 Volt statt 85 Volt. Damit werden die zulässigen Anodenspannungen jedenfalls überhaupt nicht überschritten. Das kann man sich so erklären. Die PCC88 hat eine viel höhere Steilheit und zieht damit mehr Anodenstrom. Also fällt an dem meist vorhandenen Vorwiderstand für die Anodenspannungen der UKW-Röhre eine höhere Spannung ab, weshalb die Spannungen an den Anoden der PCC88 sinken. Dies sollte man im Einzelfall nachprüfen. Nun wird dieser Vorwiderstand höher belastet. Im Einzelfall kann dieser Vorwiderstand tatsächlich überlastet werden und abrauchen.
Ein Neuabgleich des Tuners ist beim Einsatz der PCC88 in der Regel nicht notwendig. Dazu lohnt sich ein Blick in die Datenblätter. Die PCC88 hat eine Cag = 1,4 pF, die ECC85 hat eine Cag = 1,5 pF, also fast derselbe Wert. Bei Cak sieht es ähnlich gleich aus.
Wie sieht es mit der Heizung aus? Die PCC88 braucht 7,6 Volt und die ECC85 6,3 Volt. In meinem Radio lagen tatsächlich 6,51 Volt vor. Naja, das sind dann nur 85,5 % der erforderlichen Heizleistung. Die anderen Werte wie Kathodenstrom und Verlustleistung habe ich nicht gemessen, sehe darin aber angesichts der niedrigen Anodenspannungen kein gravierendes Problem. Die PCC88 verträgt übrigens 25 mA Kathodenstrom, die ECC85 nur 15 mA.
Über die Anfänge der UKW-Schalungstechnik: https://www.welt-der-alten-radios.de/r–z-ukw–der-anfang-511.html
Die Schaltungstechnik der UKW-Tuner mit Röhren erklärt: https://www.wumpus-gollum-forum.de/forum/thread.php?board=1&thread=535