Altes Telefon mit Wählscheibe an einer Fritzbox

12. November 2018

Dieser Tage habe ich aus Kostengründen meinen analogen Festnetzanschluss bei der schwedischen Telia aufgegeben. Meine Festnetznummer habe ich zu einem wesentlich günstigeren SIP-Provider portieren lassen. Der monatliche Grundpreis von umgerechnet 20 € war mir einfach zu teuer geworden. Nach einigen Überlegungen klappte es an der Fritz!Box selbst mit dem alten Wählscheibentelefon aus schwedischer Produktion.

Mein ambivalentes Verhalten bewegt sich nun zwischen einer auf die Zukunft gerichteten progressiven und pragmatischen Anwendung des Smartphones und einer rückwärts gerichteten und sinnfreien Fixierung auf die gute alte Wählscheibe. Wie kam es zu dieser Entwicklung mit dem Merkmal einer dualistischen Betrachtungsweise? Ein Versuch der retardierten Vergangenheitsbewältigung oder einfach nur spielerische Freude an der alten Technik?

Vorgeschichte: Meinen Telefonanschluss hatte ich seit Jahren bei Telia. Dieses ehemals dem schwedischen Staat gehörende Telekommunikations-Unternehmen ist in etwa mit der deutschen Telekom vergleichbar. Allerdings betreibt Telia immer noch echte analoge Vermittlungstechnik. Telefone können wie in alten Zeiten direkt mit der Telefonbuchse verbunden werden. Die Apparate ohne externe Stromversorgung funktionieren selbst bei einem Stromausfall. Sogar mein über 50 Jahre altes Wählscheibentelefon mit Impulswahlverfahren funktionierte noch einwandfrei am analogen Wandanschluss von Telia. Die Klingel lässt sich so laut einstellen, dass sie bei offenen Fenstern in den Nachbarhäusern und auf der Straße zu hören ist. Offenbar gab es dafür einen Bedarf in ländlichen Regionen.

Diese Technik ist ein Relikt einer vergangenen Zeit in einem Land, in der die Mehrheit bereits auf einen Festnetzanschluss gänzlich verzichtet und sämtliche Telefonate über das Smartphone in jeder Lebenslage abwickelt. Wer auf dem Land wohnt, kann Pech haben, wenn aus Kostengründen die alte oberirdische Telefonleitung zu Fall kommt, die bei Gewitter die unbeabsichtigte Rolle des fehlenden Blitzableiters übernahm, was bei einem ADSL-Anschluss über die Freileitung an schwülen Sommertagen eine lebhafte Nachfrage von ADSL-Modemen bescherte. Deshalb sind in Schweden Modem und Router überwiegend in getrennten Gehäusen untergebracht, damit der Überspannungsschaden nicht zu teuer wird.

Als Ersatz für die alte und unrentabel gewordene Leitung an den Telefonmasten dient nach der Abrissaktion eine über das Mobilfunknetz nachgebildete Leitung, die allerdings einen Stromanschluss im Haus des Teilnehmers benötigt. Nun gibt es selbst in Schweden noch vereinzelt tief im Wald gelegene Häuser ohne Stromanschluss. Ihre Bewohner hatten dann nochmals Pech gehabt. Ihnen bleibt dann wirklich nur noch das Mobiltelefon als die einzige Verbindung zur Außenwelt übrig. Wegen schlechter Netzabdeckung musste ein Rentner, der dem Augenschein nach der 80plus-Generation angehört und vor einigen Jahren im Fernsehen wegen seiner besonderen Situation Aufsehen erregte, für seine Telefonate mit der Leiter aufs Dach steigen, selbst für einen Notruf. So bleibt man wenigstens rüstig und achtet streng auf seine Gesundheit. Da gehöre ich noch zu den Glücklichen mit einer Stromversorgung und neuerdings mit einem Glasfaseranschluss direkt ins Haus, weil ich in einer ganz stinknormalen und ereignslosen Wohngegend lebe.


Nach der Umstellung auf SIP-Telefonie konnte ich mein schönes altes Wählscheibentelefon (schwedisches Standard-Modell Dialog von Ericsson) aus den 1960er Jahren weiterhin benutzen. Man beachte die abweichende Ziffernfolge der schwedischen Wählscheibe. Lackreiniger für Autolack hat den thermoplastischen Kunststoff den ursprünglichen Hochglanz verliehen. Die solide Konstruktion des Telefons aus dem Höhepunkt des Kalten Krieges erweckt den Eindruck für einen atomaren Krieg gewappnet zu sein. Den elektromagnetischen Impuls einer Atombombe hält das Telefon sicherlich aus, wobei in der Lebenssituation des postnuklearen Zeitalters der praktische Nutzen dafür von einem untergeordneten Interesse erscheint.


Zum Vergleich ein Telefon mit einer von der schwedischen Wählscheibe abweichenden Ziffernfolge, wie sie in Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern üblich ist. Genau genommen handelt es sich hier um eine Wählscheibe eines Schweizer Telefons aus den 1970er Jahren mit (nur) sechsstelliger Teilnehmernummer und damals geltenden Kurznummern (Bildquelle: Wikipedia).

Kein Leben mehr ohne Smartphone: Das Mobiltelefon ist dank günstiger Flatrate der ständige Begleiter der Schweden geworden und es ist überall und immer dabei. Ein Mobilfunk-Provider wirbt mit seinem Slogan für „ein gutes mit dem Internet verbundenes Leben“. Dabei wird die Smartphone-Sucht in seinem Werbespot (https://youtu.be/HvjRbYeSrPs) humoristisch auf die Schippe genommen. Den witzigen Spot versteht man auch ohne Sprachkenntnisse und zum Schluss gewinnt die Liebe mit einem Happy End doch noch über das Smartphone. Die Schweden werden also so schnell nicht aussterben.


Die Fritz!Box 7360 hinter dem Hauptrouter ermöglicht bei mir Telefonate über verschiedene SIP-Provider.

SIP-Telefonie in Schweden: Jedenfalls wollte ich auf eine Festnetzrufnummer nicht gänzlich verzichten, obwohl dies nicht mehr notwendig erscheint. Vielleicht hängt es mit meinem fortgeschrittenen Alter zusammen. Ein Haus muss demnach nach alter Väter Sitte einen Telefonapparat besitzen, nach Möglichkeit drahtgebunden, welchen man irgendwo an die Wanddose anschließt, wie das früher halt so war, ob das heute noch Sinn macht oder nicht, sei dahingestellt. Allerdings bin ich ein Anhänger der Redundanz. Es ist immer gut mindestens ein Back-up-System zu besitzen, sollte ein System, in dem Fall mein Smartphone, ausfallen.

Wie dem auch sei – meine schwedische Festnetznummer konnte ich zu dem SIP-Anbieter Teletek portieren lassen, der um ein Vielfaches günstiger ist. VoIP, also Telefonieren über das Internet, ist einfach wesentlich kostengünstiger als die analoge Vermittlungstechnik. Allerdings verlangt dieser Anbieter immer noch einen monatlichen Grundpreis von umgerechnet 5 €. Einen günstigeren schwedischen Anbieter mit vergleichbaren Leistungen habe ich nicht gefunden.

Bei einer für mich optimistisch geschätzten Restlebensdauer von 30 Jahren mit einem während dieser Laufzeit telefontauglichen Erhaltungszustand ergibt das immerhin eine Ersparnis von 5400 Euro, was für ein einfaches Begräbnis reichen sollte. Allerdings wage ich – ganz zu Schweigen von der mir unbekannten zukünftigen Tarifentwicklung – keine Prognose darüber, ob es bis dahin noch Telefone im üblichen Sinne geben wird. Vielleicht wollen wir uns bis dahin nur noch über einen implantierten Chip mit einer künstlichen Intelligenz (gegen Aufpreis mit einem Psychotherapeuten-Modul für leichte Fälle ohne klinischen Befund) unterhalten, weil sie der bessere Zuhörer ist und uns nicht auf die Nerven gehen will? Hoffentlich nicht. An dieser Stelle sei Niels Bohr zitiert: „Vorhersagen sind immer schwierig – vor allem über die Zukunft.“.

Teletek liefert einen schnellen Support mit einer Antwortzeit von wenigen Stunden und die Gesprächstarife sind kostengünstig. Zudem stellt er einem die Daten für die SIP-Konfiguration zur Verfügung, was in Schweden keineswegs selbstverständlich ist. Damit ist der Weg frei die ehemalige Festnetznummer auf einer FritzBox und auf CSipSimple unter Android betreiben zu können. Mein schwedischer Provider Bahnhof, der bis jetzt jedenfalls perfekt funktioniert, erreiche ich über einen Glasfaserzugang im Haus. Der Anbieter nennt sich wirklich „Bahnhof“. Bahnhof  betreibt übrigens seine Serverhallen mitten in Stockholm, um die Abwärme der Rechner für die Fernwärme nutzen zu können. Dieser Provider bietet ebenfalls SIP-Telefonie an. Allerdings rückt er für seine Kunden die SIP-Konfiguration aus Sicherheitsgründen nicht mehr heraus. Dadurch ist der Kunde gezwungen für umgerechnet 100 € einen von Bahnhof vorkonfigurierten Router zu kaufen, der sich auch hinter einem bereits vorhandenen Router betreiben lässt. Eventuell ist dann eine Portweiterleitung notwendig. Jedenfalls sind dadurch die vielfältigen Funktionen, welche eine neuere Fritz!Box bietet, dem Endkunden verschlossen. Der Router von Bahnhof ist meines Wissen noch nicht einmal in der Lage sich direkt mit DECT-Telefonen zu verbinden.


Nach dem Entfernen der mit Magneten befestigten Holzverkleidung kommt das Glasfasermodem (oben), die Glasfasersteckdose (mitte) und die alte Telefonsteckdose (unten) zum Vorschein. Bei der Telefonsteckdose wurde die Amtstleitung durch den Fon-Ausgang der Fritzbox ersetzt. Das gelbe Netzwerkkabel führt vom Modem zum WAN-Eingang des Routers. Das dünne Kabel unten kommt mit zwei Adern vom Fon-Eingang der Fritzbox. Die Amtsleitung wurde abgeklemmt. Das weiße Kabel besteht aus Glasfaser und verbindet den Glasfaseranschluss mit dem Glasfasermodem. Über diese Glasfaser so dünn wie ein Menschenhaar läuft also die gesamte Kommunikation vom Fernsehkonsum bis zum Begleichen der Rechnungen via Internetbanking einschließlich aller Telefonate und den restlichen Internetdiensten, was das Arbeiten von zuhause ermöglicht. Die digitale Existenz hängt an einem seidenen gläsernen Faden.

Erste Enttäuschung: Auf meiner uralten Fritz!Box Fon 5140 funktioniert Teletek bei mir nicht. Diese Fritzbox betreibe ich seit mindestens 10 Jahren nur für SIP-Telefonate hinter meinem Hauptrouter. Trotz eingetragenem STUN-Server ist immer eine Gesprächsrichtung stumm. Naja, diese uralte 5140 kann auch nicht besonders viel im Vergleich zu den neueren Modellen.

Zweiter Versuch mit einer Fritz!Box 7360: Die gebraucht für etwa 30 Euro erworbene 7360 betreibe ich ebenfalls hinter meinem Hauptrouter, einem WNDR4000 von Netgear, ohne Portweiterleitung. Teletek funktioniert auf Anhieb in beiden Richtungen sowohl bei ausgehenden als auch eingehenden Anrufen. Dann der Schock. Das Telefon klingelt nicht. Der Fehler war nach einer Weile gefunden. Die Klingel am DECT-Telefon war versehentlich stumm geschaltet.

Auf der 7360 betreibe ich noch Nummern weiterer SIP-Anbieter, z.B. von Sipgate, Personal-Voip, Iptel, Ekiga und dus.net. Ekiga habe ich auf der 7360 nur mit dem STUN-Server stun.ekiga.net zum Laufen gebracht. Dafür funktioiniert Ekiga auf der alten 5140 ohne STUN-Server, die weiterhin im Betrieb ist. Ein erfülltes Leben ohne Ekiga ist wahrscheinclich denkbar. Bei Iptel bin ich mir noch nicht so sicher.

Selbstverständlich könnte ich auch die Fritz!Box 7360 direkt als Hauptrouter mit dem Glasfaser-Modem verbinden. Die jetzige Konfiguration hat historisch gewachsene Gründe nach dem Grundsatz „never change a running system“. Eine Umstellung erfolgt nach einer Testphase und nach einer Zeitspanne der meditativen Kontemplation, um die dafür notwendige mentale Robustheit und Resilienz zu erlangen. Oder ganz einfach gesagt: Wenn ich darauf Lust habe.


Schwedische Telefondose in „bombenfester Ausführung“ mit Anschlüssen für 4 Drähte. Die unteren beiden seitlichen Schlitze sind mit der zweiadrigen Amtsleitung oder dem vorhergehenden Telefon verbunden. Die oberen beiden Schlitze sind mit dem nachfolgenden Telefon verbunden. Steckt kein Stecker in der Dose, sind die linken und die rechten Schlitze verbunden. Steckt man ein Stecker eines Telefons heinein, sorgt ein Kunststoffnippel dafür, dass die beiden unteren von den beiden oberen Kontakten getrennt werden. Dadurch wird ein weiteres Telefon mit einer „kaskadierten“ Verdrahtung eingeschleift, was nicht einer Parallelschaltung entspricht.


Eine Besonderheit ist ein schwedischer Telefonstecker mit 4 Kontakten, obwohl doch die Amtsleitung nur zwei Adern La und Lb besitzt. Wie ist das zu verstehen? An den beiden linken Kontakten sind La und Lb angeschlossen. Ist der Hörer aufgelegt, sind die beiden oberen und die beiden unteren miteinander verbunden. Dadurch klingeln auch nachfolgend geschaltete Telefone, die parallel geschaltet sind. Hebt man den Hörer ab, sind die beiden oberen und die beiden unteren Kontakte getrennt. Von nachfolgenden Telefonen kann nicht mitgehört werden, da sie von der Leitung  getrennt sind. Zieht man den Stecker, zieht man auch den Plastiknippel heraus. Dadurch schließen sich in der Telefonbuchse zwei Kontakte, die die beiden oberen Kontakte verbinden und ebenso die beiden unteren Kontakte in der Buchse verbinden. Nachfolgende Telefone sind dann dadurch angeschlossen. Im Grunde hat ein schwedisches Telefon auch nur zwei Adern für die Telefonleitung und die Amtsleitung der Privathäuser besteht auch nur aus zwei Adern La und Lb.


Der Zwischenstecker führt zu einem weiteren Telefon in moderner Ausführung mit Tastenfeld. Der äußere Stecker führt zum Wählscheibentelefon. Sowohl Telefone mit Impulswahl als auch mit Mehrfrequenzwahl können gleichzeitig am Fon-Eingang der Fritzbox kombiniert werden. Läuft ein Gespräch auf dem einen Telefon (Telefon A) und hebe ich währenddessen das andere (Telefon B) ab, wird das andere Telefon (Telefon A) automatisch aufgelegt. Somit ist ein Abhören durch Dritte auf dem anderen Telefon nicht möglich.


Adapter-Stecker von Telia. Der Stecker passt in die monströsen Telefon-Wanddosen und ermöglicht den Anschluss von Kabeln mit RJ11-Steckern. Der Kunststoffnippel des Steckers fehlt bei dieser Ausführung. Nur die beiden mittleren der vier Kontakte der RJ11-Buchse ist mit Kontaktfedern bestückt. Diese beiden Kontakte führen zu den beiden vorderen Kontaktzungen für die Wandbuchse. Die beiden hinteren Kontaktzungen sind mit nichts verbunden und somit ohne Funktion. Damit wäre geklärt, wie moderne Telefone, die nur eine Zweidrahtleitung (mit La und Lb) besitzen, anzuschließen sind. Sie werden demnach parallel geschaltet.

Anschluss an die alte Telefonleitung: Da nun das Internet direkt über Glasfaser in das Haus gelangt und Telefonie ausschließlich über VoIP erfolgt, wird die Amtsleitung nach fast einem halben Jahrhundert nicht mehr benötigt. Ich habe sie deshalb in einem unpathetischen Akt abgeklemmt und den alten Übergabepunkt mit dem Fon-Ausgang der Fritzbox verbunden. Genauer gesagt habe ich die beiden inneren Kontakte der 4-poligen RJ11-Buchse des Fon-Ausgangs der Fritzbox mit den alten hauseigenen Telefonleitungen, die in der Wand verlegt sind, verbunden. Die Polung spielt beim Anschluss der beiden Drähte keine Rolle. Die Amtsleitung musste ich beidseitig abklemmen, da sonst in den Hörkapseln ein störend lauter Brumm zu vernehmen war. Nun war alles fast wie vorher mit dem Unterschied, dass ich den Anbieter gewechselt hatte und der Fon-Ausgang der Fritzbox die Funktion des Amtes übernommen hat, das nun „länderübergreifend“ geworden ist, da es auch zusätzlich deutsche und englische Anbieter zur Verfügung stellt. Das Telefon klingelt wunschgemäß auch bei Anrufen von anderen SIP-Providern und ich kann über die interne Vorwahl der Fritzbox den Provider für ausgehende Gespräche auswählen. Besonders komfortabel sind die auf ein Blatt Papier ausgedruckten Kurzwahlen, die sich im Telefonbuch der Fritzbox anlegen lassen, um nur einige Funktionen zu nennen.

Hätte ich auch bei ADSL die hausinterne Telefonleitung verwenden können? Wenn kein Festnetztelefon mehr im Betrieb ist, ist das einfach. Die Amtsleitung wird beidseitig abgeklemmt und direkt mit dem ADSL-Modem verbunden. Die hausinterne Telefonleitung ist mit dem Fon-Ausgang der Fritzbox zu verbinden. Ein Splitter ist nicht mehr nötig. Ein Splitter ist jedenfalls in Schweden ein Tiefpass zum analogen Telefon.

Und das alte Wählscheibentelefon soll natürlich auch funktionieren: Vorab sei bemerkt, dass ich nach dem Stand der Technik DECT-Telefone direkt an der Fritzbox angemeldet habe. Meines Erachtens gibt es keinen vernfünftigen Grund mehr, ein Wählscheibentelefon zu betreiben. Da beim Wählscheibentelefon die Tasten für Stern (*) und Raute (#) fehlen, lassen sich viele moderne Funktionen nicht mehr nutzen. Die Kurzwahl der Fritzbox lässt sich nicht anwenden. Jede Nummer ist mühsam Ziffer für Ziffer mit der ratternden Wählscheibe abzuarbeiten. Damals war Telefonieren noch mit körperlicher Arbeit verbunden. Allerdings hatten die meisten Telefonnummern nur 3 oder 4 Ziffern, denn nur wenige konnten sich ein Telefon leisten.

Damals war es auf Grund der geringen Anschlussdichte und der damit einhergenden geringen Seitenzahl wesentlich einfacher ein Telefonbuch einer mittleren Großstadt als Jahrmarktsattraktion mit bloßen Händen zu zerreißen. Heute ist das nicht mehr möglich, da es keine gebundenen Telefonbücher mehr gibt, jedenfalls ist das so in Schweden.


Ausschnitt aus einem alten amerikanischen Lehrfilm anlässlich der Einführung des Selbstwählbetriebs. Der Film erklärt behutsam die Handhabung der Wählscheibe, damit sich niemand durch die neue Technik überfordert fühlt. Den Verzicht auf das „Fräulein vom Amt“ könnten die Kunden ja als Zumutung empfinden. Offenbar hat es damals niemanden gestört, dass das Geräusch des Freizeichens an eine Bohrmaschine oder an einen Elektroschocker erinnert. Die neue Technik machte viele Arbeitsplätze überflüssig. Zu einer Massenarbeitslosigkeit und der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten kam es dadurch dennoch nicht. Im Gegenteil. Der Wohlstand stieg mit jedem technischen Fortschritt. Und vor allen Dingen ist das Telefonieren mit jeder Innovation kostengünstiger geworden. Weltweites Telefonieren als Nebeneffekt des Internets ist heute zum Nulltarif erhältlich. Die Zeiten ändern sich. Jugendliche wissen heute nicht mehr, wie ein Wählscheibentelefon zu bedienen ist (siehe https://youtu.be/xS18McxTRAc). Warum sollten sie auch?

Dennoch packte mich die Freude am Experiment und ich schloss das alte Wählscheibentelefon an eine Telefonbuchse in der Wand, die jetzt mit der Fritzbox verbunden war. Ein Freund warnte mich ich könnte den Fon-Eingang der Fritzbox durch Überlastung beschädigen, was sich im nachhinein als unbgegründet herausstellte. Beim eingehenden Anruf war jetzt ein lautes Rattern statt eines harmonischen Läuten zu vernehmen, da die Fritzbox nicht in der Lage ist für die Klingel dieses Modells genügend Strom oder Spannung zu liefern. Etwa 30 bis 40 Volt bei 25 Hz Wechselspannung liefert gewöhnlich das Amt für das Klingeln. Andere Modelle mit elektromechanischem Läutwerk sollen jedenfalls an der Fritzbox wie gewohnt klingeln können. Offenbar kommen sie mit weniger Spannung aus. Eingehende und ausgehende Gespräche sind jedenfalls mit meinem Uralt-Telefon in einwandfreier Sprachqualität möglich. Angeblich sollen alle Fritzboxen noch die Impulswahl beherrschen. Jedoch wird diese Funktion offiziell nicht vom Support unterstützt.

Die schwedische Wählscheibe ist anders beschriftet: Eine deutsche Wählscheibe und die der meisten anderen Länder beginnt ganz rechts mit der 1 und endet ganz links mit der 0, also 1234567890, weil Ingenieure nun mal so denken. Eine 1 ergibt einen Wählimpuls, eine 2 zwei Impulse und so weiter, bis die 0 zehn Wählimpulse liefert. Schweden hat jedoch die Beschriftung und damit die Reihenfolge der aufgedruckten Ziffern nach pädagoischen Gesichtspunkten gemäß der üblichen Darstellung des Zahlenstrahls, wie man ihn in der Schule lernt, geändert. Dies dient der Fehlerminimierung und nach schwedischer Denkweise der Stressvermeidung zur Optimierung des Wohlbefindens.

Die 0 ist bei den schwedischen Wählscheiben ganz rechts angebracht und die 9 am anderen Ende. Würde man mit einem schwedischen Wählscheibentelefon die Nummer 0123456789 wählen, würde dies die deutsche Fritzbox oder eine deutsche Vermittlungsstelle  als die Nummer 1234567890 interpretieren. Die Mechanik der Wählscheibe ist im Prinzip identisch. Nur die Beschriftung ist anders.


Problemlösung zur Bedienung eines shwedischen Wählscheinbentelefons an einer deutschen Fritzbox. Ohne im Kopf umrechnen zu müssen, wozu wahrscheinlich ohne Taschenrechner nur noch Schüler aus Südkorea, Japan oder China mühelos in der Lage wären, stimmt nun die Ziffernabfolge der gewählten Nummern, wenn das schwedische Telefon mit der Fritzbox verbunden ist. Wichtig ist, das der Rückbau der Modifikation ohne Beschädigung des historisch interessanten Telefons geschehen kann.


Die „Software-Lösung“ aus weichem Papier gelang mir mit einfachsten Werkzeugen. Programmierkenntnisse sind nicht notwendig. Ein gewisses Zahlenverständnis sollte vorhanden sein, damit die Migration von der schwedischen auf die deutsche Norm gelingt.

Mit einer Anpassung an europäische Standards im Sinne einer europäischen Harmonisierung ist nicht mehr zu rechnen, da dieses Problem nur beim Impulswahlverfahren vorkommt, das so gut wie ausgestorben ist. Die Industrie könnte mit neuen Wählscheiben kein Geld verdienen, weil der Markt dafür einfach nicht mehr vorhanden ist.

Früher gab es große mit Relais-Technik vollgestopfte Geräteschränke, die für die Direktwahl von und nach Schweden die Umrechnung der Nummern erledigten. Es waren also fest programmierte Rechenmaschinen, um eine Brücke zwischen zwei verschiedene Denkweisen und damit zwei verschiedene Kulturen zu bauen. Für die Völkerverständigung braucht die Welt heute keine neuen Wählscheiben mehr.

Lösungsansätze auf elektronischer Basis: Will man nun mit einem schwedischen Wählscheibentelefon an einer Fritzbox wählen, müssen die Zahlen im Kopf ständig umgerechnet werden. Mit einiger Übung klappt das. Angedacht wurde ein kleines Elekronikprojekt, das ein Interface von der schwedischen Impulswahl auf das Mehrfrequenzwahlverfahren darstellt und sich mit einem Arduino programmieren ließe. Gleichzeitig sollte eine ausreichende Spannung für die Klingel zur Verfügung stehen. Allerdings ergab eine Bedarfsanalyse eine zu geringe Nachfrage. Es gibt wohl nur einen einzigen Spinner auf der ganzen weiten Welt, der ein schwedisches Wählscheibentelefon an einer Fritzbox betreibt, und dieser Spinner bin ich.

Inzwischen bin ich Im Inernet fündig geworden. Es gibt bereits ein ausführlich beschriebenes Selbstbauprojet als Adapter von Impulswahl auf Mehrfrequenzwahl mit einer quelloffenen Firmware in C. Eine Anpassung auf die schwedische Wählscheibe ist somit im Prinzip mit rudimänteren Kenntnissen in C möglich.

Lösungsansatz mit Papier und Klebestreifen: Ich entschied mich als strenger Pragmatiker und lausiger Programmierer vorerst für eine andere Lösung in Gestalt einer Scheibe aus Papier, die zu einem leicht ausgeformten Kegel gefaltet ist, indem ein radialer Schnitt mit Klebeband überlappend fixiert wurde.  Das Klebeband hält auch die reversible Papierkonstruktion auf der Nummernscheibe fest. Es erfolgt noch die Beschriftung mit der Ziffernabfolge nach den deutschen Anforderungen. Problem gelöst. Die Scheibe lässt sich ohne Beschädigung des historischen Telefons abziehen.

Das schwedische Telefon mit dem Namen „Dialog“: Dieses Telefon,  das derzeit zu meinen Lebensmittelpunkt geworden ist, scheint vom Aufbau her unzerstörbar (in der Werbesprache: „unkaputtbar“) zu sein. Es ist ein Musterbeispiel schwedischer Designvorgaben und stellt ein Monument schwedischer Qualitätarbeit dar, das mich und weitere zukünftige Generationen überleben könnte, wenn es hoffentlich nicht jemand auf Grund eines fehlenden Geschichtsverständnisses achtlos auf dem Recyclinghof entsorgt, um pflichtbewusst der Umwelt etwas Gutes zu tun. Derzeit (2018) werden diese Telefone auf den schwedischen  Flohmärkten für umgerechnet 5 bis 20 Euro angeboten.

Laut https://sv.wikipedia.org/wiki/Dialog_(telefon) wurde das Modell Dialog von 1962 bis 1978 in verschiedenen Varianten millionfach gebaut. Es existiert eine Ausführung für den amerikanischen Markt mit einer Ziffernfolge, wie sie in Deutschland üblich ist. Die Entwicklung des Telefons begann Mitte der 1950er Jahre. Im Gegensatz zu seinem Vorgängermodell sollte es folgende Verbesserungen und Eigenschaften aufweisen:

– Gehäuseoberteil und Hörer aus Thermoplast statt Duroplast
– Nummernscheibe entspricht dem bereits entwickelten Ericovox
– Telefon leicht tragbar (aus heutiger Sicht ist es es ein Schwergewicht)
– Das Innere soll nicht vollkommen dunkel sein, um Insektenbefall in den Tropen zu vermeiden
– Öffnen des Gerätes mit einfachen Handgriffen für den Service
– Nochmalige Verbesserung der Gabel für das Auflegen des Hörers
– wesentliche Gewichtseinsparung zum Vorgängermodell
– Verkürzung des Abstands zwischen Mikrofon und Hörkapsel


Das Telefon Dialog in seinen Einzelteilen (Quelle: Wikipedia). Hochauflösende Großansicht hier oder per Mausklick auf das Bild.

Nachteile eines Wählscheibentelefons: Da es keine Möglichkeit gibt einen Stern oder eine Raute zu wählen, können von diesem Telefon nur Anrufe über denjenigen Provider getätigt werden, welcher ohne eine Anbieter-Auswahl erreichbar ist. In meinem Fall ist es  Sipgate, weil ich dies in der Fritzbox so konfiguriert habe. Ich wähle also die Sipgate-Testnummer 10000 und eine Ansage erfolgt, dass mein Endgerät ordnungsgemäß angemeldet sei. Einfach wunderbar, dass es funktioniert. Fast wie in alten Zeiten. Ohne die Adapterscheibe hätte ich die 09999 wählen müssen.

Fazit: Es gibt sicherlich wichtigere Dinge im Leben als ein schwedisches Wählscheibentelefon an einer Fritz!Box zu betreiben. Zu den banalen Pflichten auf ein im Hier und Jetzt gerichtetes Leben – der von mir geschätzte Zen-Buddhismus wird mir sicherlich zustimmen – gehören zum Beispiel Windeln wechseln, das regelmäßige Zähneputzen, den Hochzeitstag nicht zu vergessen, die Steuererklärung rechtzeitig abzuschicken, in bestimmten Gegenden Deutschlands südlich des fünfzigsten Breitengrades die Putzwoche einzuhalten oder ab und zu den Ölstand am Auto zu kontrollieren. Vielleicht ist der Betrieb eines Wählscheibentelefons trotzdem ein notwendiger Akt zur Bewältigung einer noch nicht restlos aufgearbeiteten Betrachtung der Technikgeschichte? Vielleicht möchte ich die alte Wählscheibe nur instrumentalisieren, um einen Hass auf eine überholte und umständliche Technik zu schüren oder gar die Gesellschaft zu spalten? Nun, das ist wohl doch zu weit hergeholt. Abgesehen von der mit Kugelschreiber beschrifteten Papierscheibe, die etwas deplaziert auf dem schönen alten Telefon wirkt, ist meine kleine Welt jedenfalls wieder mit mir im Gleichgewicht. Nach der Unschuldsvermutung ist es wahrscheinlich doch nur spielerische Freude an alter Technik.

Anmerkung in eigener Sache: Sicherlich werden die meisten der verehrten Leserschaft den Sinn meiner teilweise hochtrabenenden Wortwahl, der gespreizten Formulierungen und der überspannten Ausdrucksweise verstanden haben. In bestimmten Lebenssituationen gibt es eben nichts Bedeutsameres als eine Wählscheibe mit der richtigen Reihenfolge der Ziffern.

Ausblick: Ich bekomme ein W49 aus den 1940er Jahren. Mal sehen, ob das an der Fritz!Box klingelt. Ja, das macht er ohne Probleme lautstark.