2. November 2020
Dieses Bakelit-Wandtelefon Baujahr 1966 aus Österreich der Firma E.Schrack E.A.G.Wien kam laut seinem Vorbesitzer nach der Wende aus Dresden und wurde danach mehrere Jahrzehnte auf einem zugigen Dachboden in einer Pappschachtel gelagert, bis es bei Aufräumarbeiten nach langer Vergessenheit wieder entdeckt wurde.
Das Bakelit-Gehäuse diese Wählscheibentelefons war stark verschmutzt. Es ließ sich leicht mit einem feuchten Schwamm und etwas Geschirrspülmittel reinigen. Ebenso verfuhr ich mit dem Hörer. Danach polierte ich das Bakelit mit etwas Autolackreiniger, wodurch der Glanz wieder zum Vorschein kam. Mit etwas Glasreiniger ließen sich die Fingerlochscheibe und das Ziffernblatt des Nummernschalters reinigen, der dafür demontiert wurde. Die durchsichtige Fingerlochscheibe wurde ebenfalls mit Autolackreiniger poliert, wodurch die Gebrauchsspuren weniger in Erscheinung traten.
Problematisch war der Nummernschalter. Er drehte sich zu langsam und verwählte sich immer. Ein Anruf war unmöglich. Der Apparat konnte nach dem Einbau einer Hör- und einer Sprechkapsel nur Gespräche entgegennehmen. Das Telefon klingelte und man konnte sich nach dem Abheben unterhalten.
Kurzes Wackelvideo über das restaurierte Telefon. Das Klingeln und der Wählvorgang mit der Wählscheibe funktionieren.
Im Hörer fehlten die Hör- und die Sprechmuschel. Zum Glück hatte ich Ersatz, der auch für die Apparate W49 und W48 passte.
Nummernschalter: Erhebliche Probleme bereitete der Nummernschalter. Er lief mit 8 Hz pro Impuls viel zu langsam. Das Impuls-Pausenverhältnis des nsi stimmte nicht. Die Kontakte waren verdreckt. Die Kontaktfedern waren erlahmt. Der nsa reagierte zu spät. Deshalb verwählte sich der Nummernschalter dauernd.
Der Nummernschalter wurde teilweise demontiert. Die Kontakte reinigte ich mit feinem 400er-Schleifpapier. Danach erhielt die Unterseite des Nummernschalters eine Reinigung im Ultraschallbad, um den Schleifstaub zu entfernen. Erst nach der Demontage der beiden grauen Kunststoffscheiben kam ich an die Schraube zur Einstellung des Fliekraftreglers. Die Kontaktfedern wurden so nachgebogen, dass die Schaltzeiten wieder stimmten. Die Kontaktfedern bog ich nach, um den Kontaktdruck zu erhöhen. Der Spalt zwischen den geöffneten Kontakten beträgt etwa 0,5 mm, was ebenfalls ein Prellen verhindert.
Die Blattfeder des Sperrklinkengetriebes liegt zwischen den beiden grauen Kunststoffscheiben. Diese musste ich ebenfalls etwas nachbiegen. Für die Entfernung dieser beiden grauen Scheiben müssen zwei Muttern gelöst werden. Beim Zusammenbau kommt es darauf an, wie stark diese Muttern angezogen sind. Einiges Probieren war notwendig, bis der Nummernschalter wieder einwandfrei funktionierte. Für diese Arbeiten war das auf
https://elektronikbasteln.pl7.de/nummernschalter
vorgestellte Programm nummernschalter.exe sehr hilfreich, um die Schaltzeiten und das korrekte Zusammenspiel zwischen dem nsi- und dem nsa-Kontakt zu erfahren.
Dieser Nummernschalter kommt ohne nsr-Kontakt aus, weil eine der beiden grauen Mitnehmerscheiben durch ein Spiel die anfänglichen Impulse unterdrückt. Dafür sorgt eine sternförmige Blattfeder.
Nun habe ich auch herausgefunden, wie sich die Geschwindigkeit dieses Nummernschalters auch ohne seine Demontage einstellen lässt. Um an die tief sitzende Einstellschraube zu gelangen, ist die Wählscheibe hin- und herzufahren, bis die Schraube zum Vorschein kommt.
Ich nehme an, dass viele alte Telefone aus österreichischer Fertigung diese Konstruktion des Nummernschalters verwenden und ich hoffe, dass meine Erfahrungen für andere Freunde alter Telefone hilfreich sein können.
Nachtrag: Ich hatte Gelegenheit mich mit einem Österreicher auszutauschen, der seine Lehre unweit der Firma Schrack in Wien machte. Die Firma Schrack https://de.wikipedia.org/wiki/Schrack_Technik#Geschichte gibt es heute noch. Schaut man sich im Web um, findet man einige Telefone von Schrack, welche die gleichen Nummernschalter enthalten. Das österreichische Design dieser Telefone hat seinen eigenen Charme, finde ich.
Dieses Telefon wurde also in Österreich gefertigt. Die Frage ist nur, ob oder wie es in der DDR zum Einsatz kam. Hatte die DDR Telefone aus dem damals neutralen Österreich eingeführt? Laut dem Vorbesitzer war das Telefon ein Geschenk von jemanden aus Leipzig, der mit dem Abbau einer Vermittlungsstelle beschäftigt war. Dann lag es Jahrzehnte in einem Karton auf einem zugigen Dachboden in Süddeutschland. Schon damals war es so verschmutzt wie ich es erhalte hatte. Mich interessiert immer der „persönliche Werdegang“ solcher Artefakte.
Ursprünglich wollte ich dieses Telefon in einer zugigen Garage montieren. Inzwischen ist mir das offenbar seltene Stück zu schade dafür und wartet gut verpackt auf einen geeigneten Einsatz an einem trockenen und beheizten Ort.
Zu dem Nummernschalter: Eigentlich wollte ich wieder das Handtuch werfen, weil ich glaubte das Ding völlig verhunzt zu haben, da sich zum Schluss die Wählscheibe verklemmte und der Sperrklinkenmechanismus nicht mehr funktionierte. Ein alter Fernmeldetechniker sagte mir ich solle es demontierten und nochmals zusammensetzen. Das habe ich auch gemacht. Dadurch erst hatte ich die Mechanik verstanden und mit etwas Geduld konnte ich die Blattfedern wieder so verbiegen, dass alles wieder stimmte. Dabei ist neben Sauberkeit ein ausreichender Federdruck entscheidend. Ein geringer Abstand der geöffneten Kontakte unter 0,5 mm ist auch wichtig, was ebenfalls das Prellen vermeidet, weil dadurch der Hub geringer ist. Weniger Hub bedeutet vermutlich weniger Schwingungen durch die Vorspannung der federnden Teile. Man braucht eben etwas Geduld. Beim Verbiegen muss man auch überlegen. Das geht mit einer kleinen Flachzange und kleinen Uhrmacherschraubenziehern als Biegewerkzeuge. Und eine Lupe und viel Licht sind notwendig. Eine ruhige Hand sollte man noch haben.
Noch eine allgemeine Bemerkung zu den alten Telefonen: Es gibt kaum noch jemanden, der mein Hobby teilt und diese alten Telefone nicht nur reinigt und sammelt, sondern auch repariert und einsetzt. Das hängt wohl damit zusammen, dass man sich für ihren Betrieb gleichzeitig neben der alten Mechanik noch mit FritzBoxen, Sip, Asterisk, dem Raspberry und Linux für die eigene Telefonanlage beschäftigen sollte, wodurch zwei völlig verschiedene Welten aufeinanderprallen. Die meisten Seiten über historische Telefone machen inzwischen einen veralteten Eindruck und viele Seiten wurden offenbar seit vielen Jahren nicht mehr gepflegt. Das Wissen über die alte Telefontechnik auf elektromechanischer Basis droht zu verschwinden.
Angenehme Telefonate mit der schönen alten Technik zum Anfassen wünscht Euch
Volker SM5ZBS