Restaurierung und Reparatur eines Röhrenradios Concerton V 443 Baujahr 1942 der schwedischen Firma Stern & Stern
Das Radio wurde von der schwedischen Firma Stern & Stern 1942 gebaut. Es ist ein Superhet mit der für die damalige Zeit häufigen Röhrenbestückung ECH4, ECH4, EBL1 und AZ1.
Das Gerät befand sich elektrisch und äußerlich in einem schlechten Zustand. Das Gehäuse hatte viele Kratzer und Macken. Das Chassis war völlig verdreckt und mit Spinnweben, toten Milben und Insektenkot übersäht. Das Skalenglas war blind und matt auf Grund des Schmutzbelages, der sich auf der Innenseite befand. Bei der Reparatur des fast schon hoffnungslosen Falles bekam ich moralische Unterstützung im Wumpus-Gollum-Forum. Das Original-Schaltbild hatte ich nicht. Aber ein ähnliches Schaltbild war hilfreich, denn Radios mit dieser Röhrenbestückung waren damals sehr verbreitet und ähnlich aufgebaut.
Daten: http://www.radiomuseum.org/r/conserton_v443v_44.html
Restaurierung des Gehäuses: Das zweifarbige Gehäuse bekam eine Schellackpolitur auf dem bestehenden Lack. Diese Lösung ist nicht perfekt, aber ganz brauchbar. Die Erfahrungen damit sind hier ausführlich beschrieben.
Waschen des Chassis: Das völlig verdreckte Chassis wurde ausnahmsweise mit Wasser und Spülmittel gewaschen. Das Verfahren ist nicht ohne Risiken und umstritten. Die Vorgehensweise ist hier ausführlich beschrieben.
Erneuern des Skalenseils: Das Skalenseil riss kurz vor dem Wiedereinbau des Chassis. Wie Skalenseile ersetzt werden, ist hier beschrieben.
Concerton V 443 nach der Renovierung.
In diesem Zustand habe ich das Radio auf einem Flohmarkt in Skärblacka, Östergötland, Schweden, entdeckt.
Rückwand.
Beschriftungen der Rückwand.
Skizze auf der Innenseite der Rückwand.
Chassis im ursprünglichen Zustand.
Nach der Reparatur mit neuem Netztrafo und neuem NF-Ausgangs-Übertrager.
Chassis nach dem Ausbau.
Gereinigtes Chassis von oben.
Chassis von vorne. Nach dem Waschen sind auf dem Netztrafo Brandspuren zu erkennen. Der Netztrafo war also schon beim Kauf durch Windungsschluss beschädigt und überhitzte sich deshalb.
Das Chassis mit neuen Trafos nach erfolgreicher Reparatur.
Teilansicht des gewaschenen Chassis von unten. Für eine hohe Auflösung auf das Bild klicken!
Elektrische und mechanische Fehler und deren Beseitigung: Mir kam das Gerät wie eine Ruine vor. Nachfolgend die Liste der Fehler und deren Beseitigung. Das Gerät wurde erst nach dem Waschen vorsichtig in Betrieb genommen. Vorher wurden die Elkos des Netzteils formiert.
1. Der Netztrafo wurde wegen Windungsschluss heiß und erzeugte einen stechenden Geruch. Wie meine Fotos zeigten, hatte der Netztrafo schon vor dem Einschalten dunkelbraune Brandflecken auf dem Isolationspapier. Er war mit Sicherheit schon beim Kauf defekt.
2. Der NF-Ausgangsübertrager hatte eine Unterbrechung in der Primärwicklung. Merkwürdige, unregelmäßige Zischgeräusche, welche an der Anode der Triode der zweiten ECH4 mit einem externen Verstärker abzuhören waren, verschwanden erst, nachdem die Sekundärwicklung von der Gegenkopplung getrennt wurde. Wahrscheinlich gab das nicht ausreichende Trocknen dem Ausgangsübertrager "den Rest" oder er war schon vorher defekt. Als Ersatz fand ich einen geeigneten Trafo passender Größe und mit der richtigen Übersetzung, der nicht in die Sättigung ging. Ich probierte verschiedene Exemplare aus der Schrottkiste aus.
3. Ein Elko 50 uF / 10 Volt für die Erzeugung der negativen Gittervorspannung war vollkommen ausgetrocknet und ohne Kapazität. Dies ist ein altersbedingt typischer Fehler.
4. Die beiden Elkos des Netzteils mussten formiert werden und waren dann in Ordnung. Dies ist auch eine altersbedingte Erscheinung, die für alte Radios typisch ist. Beim Formieren war der Becherelko liegend und nicht aufrecht. Dadurch tropften innerhalb von ein paar Stunden etwa 20 ml einer klaren, gelben Flüssigkeit aus dem Elko durch sein oberen Überdrucklöcher. Trotzdem haben die Elkos ihre volle Kapazität und kaum Leckströme. Das Radio brummt nicht.
5. Die Koppelkondensatoren an den NF-Stufen wurden vorsorglich gewechselt, damit deren Leckströme nicht den Arbeitspunkt der Röhren verstellen können. Dies ist eine obligatorische Maßnahme bei allen alten Röhrenradios.
6. Die Triode der letzten ECH4 dient zur NF-Verstärkung. Zur Abblockung der HF ist zwischen Masse und Anode ein 300 pF großer Papier-Kondensator angebracht. Er hatte mit dem Ohmmeter gemessen einen Widerstand von etwa 3 kOhm, wodurch die Anodenspannung auf wenige Volt zusammenbrach. Dadurch funktionierte das Radio natürlich nicht mehr. Ob dieser Fehler durch das Waschen entstanden ist, ist die Frage. Papierkondensatoren sind altersbedingt anfällig.
7. Viele Leitungen hatten eine brüchige Isolation, welche beim Verbiegen der Drähte brach und zersplitterte. Deshalb mussten einige Kabel aus Gründen der elektrischen Sicherheit ausgewechselt werden. Dieser Fehler hat aber nichts mit dem Waschen des Chassis zu tun.
8. Schließlich wurde die ZF des Radios mit einem Wobbelgenerator neu abgeglichen, wodurch eine wesentliche Verbesserung der Empfindlichkeit und Trennschärfe eintrat. Altersbedingt können sich aber so oder so die Werte der Kondensatoren und Spulen in den Bandfiltern ändern. Es ist auch möglich, dass vorher schon an den Kernen herumgeschraubt wurde oder nach Gehör abgeglichen wurde. Wer weiß, was das Radio in 70 Jahren alles durchgemacht hat?
9. Zusätzlich wurden noch einige andere Kondensatoren im Zuge der Fehlersuche gewechselt, die verdächtig waren, deren Austausch aber nicht unbedingt notwendig war. Zum Beispiel habe ich einen Koppelkondensator im Oszillator durch einen Styroflex-Typ ersetzt, um die Stabilität des Oszillators zu erhöhen.
10. Das Skalenseil riss kurz vor dem Einbau des Chassis. Das Seil wurde ersetzt. Das Wechseln von Skalenseilen ist hier beschrieben.
11. Die Skalenlampen wurden ausgetauscht. Auch dies hat nichts mit dem Waschen zu tun.
12. Behandlung der Kontakte: Sämtliche Kontakte, auch die der Röhrensockel und Röhrenfassungen, wurden mit HF-Kontaktspray nach dem Waschen behandelt.
13. Schmierung: Die Potis erhielten auch ölhaltiges Kontaktspray. Alle Lager wurden mit harzfreiem Öl geschmiert. Es gab kein Kontaktprobleme oder krachende Potentiometer. Der Drehkondensator lief anfangs etwas schwergängig. Seine Lager wurden mit Kriechöl behandelt und danach kam das Chassis nochmals für ein paar Stunden bei 60 °C in den Backofen. Danach lief auch der Drehkondensator wieder leichtgängig.
14. Für den HF-Abgleich wurden die Kerne mit Elektronikreinigungspray eingesprüht, damit die Kerne leichtgängig werden.
15. Einige Monate später wurde das Radio plötzlich sehr unempfindlich beim Umschalten der Wellenbereiche und es krachte dabei. Es lag aber nicht an den Kontakten des Wellenschalters, sondern an einer kalten Lötstelle in der Nähe, die ich durch Klopfen und Drücken mit einem isolierten Schraubzieher entdeckte. Nach dem Nachlöten war die Empfindlichkeit wieder wie gehabt. Für sehr alte Radios ist es leider typisch, dass sie nach einer gewissen Zeit wieder ausfallen.
16. Drei Wochen später war das Radio wieder sehr unempfindlich geworden. Die Ursache waren nun defekte Papierkondensatoren. Die hohe Luftfeuchtigkeit hat wohl diesen den Rest gegeben. Nach dem Tausch von drei Stück an der EBL1 und der letzten ECH4 war das Radio wieder empfindlich. Es ist wohl sinnvoll bei diesem alten Radio sämtliche 12 Papierkondensatoren gegen moderne Kunststofffolienkondensatoren zu wechseln.
Chassis im verdreckten Originalzustand.
Chassis von unten, gewaschen. Für ein riesengroßes Bild in hoher Auflösung auf das Bild klicken!
Ergänzungen zur Reparatur: Ein Schaltbild hatte ich nicht. Deshalb nahm ich als Gedankenstütze ein ähnliches Schaltbild eines anderen Radios. Viel Spielraum hatten die damaligen Entwickler so oder so nicht bei diesem Röhrensatz, wenn sie ein marktfähiges Produkt schaffen wollten. Deshalb sind die Schaltbilder relativ ähnlich. Außerdem machte ich mir einen Ausdruck von den Anschlussbelegungen der verwendeten Röhren, was eine große Hilfe bei der Fehlersuche war.
Der Kern des letzten ZF-Filters saß so fest, dass selbst eine Demontage des ZF-Filters den Kern nicht zum Bewegen brachte. Die ZF wurde dann auf dieses Filter abgeglichen.
Um den Fehler einzugrenzen, verwendete ich einen externen NF-Verstärker und einen AM-Demodulatortastkopf. Diesen Tastkopf legte ich an die Anoden der Röhren im ZF-Verstärker an.
Ein einfacher Tastkopf für die AM-Demodulation, welcher bei der Fehlersuche und beim Wobbeln sehr hilfreich ist. C20 kann kleiner gemacht werden für eine AM-Demodulation.
So konnte ich feststellen, wo der Fehler lag oder Fehler ausschließen. Das ZF-Teil erwies sich als in Ordnung. Mit dem NF-Verstärker ohne Tastkopf konnte ich dann feststellen, dass an der Anode der Triode der zweiten ECH4 keine NF anlag. Zudem war die Anodenspannung dort nur wenige Volt hoch. Ursache war ein Abblock-Kondensator von 500 pF zwischen Anode und Kathode, der die restliche HF abblocken sollte. Dieser Kondensator hatte mit dem Ohmmeter gemessen einen Widerstand von 3 kOhm!
Fehlersuche.
Da der Trafo des Netzteils defekt war, übernahm während der Fehlersuche ein externes Netztteil die Spannungsversorgungen.
Für den neuen Netztrafo und den neuen NF-Ausgangsübertrager mussten einige Löcher in das Chassis gebohrt werden. Um Vibrationen zu minimieren, wurde mit einem langsam drehenden Akkuschrauber gebohrt: Markieren mit dem Bleistift, Ankörnen mit dem Körner, Vorbohren mit 2 mm, Bohren mit 3 mm und schließlich mit 3,5 mm, wodurch kein Grat entstand. Geschmiert wurde mit Kriechöl aus der Spraydose. Mit M3-Schrauben wurde geschraubt.
Das neue Netzteil bekam eine Netzsicherung, die damals offenbar in Schweden nicht bekannt war.
Seitenansicht des verdreckten Chassis.
Beim Ersatz eines verdächtigen Kondensators unterlief mir ein Fehler. Ein Kondensator, der 300 pF hatte, wurde durch einen mit 6,2 nF ersetzt. Er war der Siebkondensator im AM-Demodulator. Dadurch klang das Radio extrem dumpf. Ich dachte, es wäre ein Koppelkondensator oder ein Abblock-Kondensator an einem Schirmgitter. In diesem Fall wären die Kapazitätswerte relativ unkritisch.
Für die Fehlersuche setzte ich als Lautsprecher eine moderne Lautsprecherbox ein. Die Feldwicklung wurde durch einen 560 Ohm-Widerstand / 5 Watt ersetzt.
Hinten sind zwei Bananenbuchsen für den Grammaphonanschluss. Allerdings fehlt beim Wellenschalter die Stellung für das Grammophon. Die Umschaltung erfolgt in der Grammaphonbuchse selbst. Der Bananenstecker in der Buchse biegt eine Kontaktfeder um und schaltet den Empfang dadurch ab. Sehr umständlich, finde ich.
Der Wellenschalter und der Netzschalter samt der integrierten Tonblende befinden sich seitlich. Um das Chassis ausbauen zu können, müssen die Achsen dieser beiden Drehschalter entfernt werden. Selbst mit einem langen, dünnen Schraubenzieher sind die Madenschrauben der Achsen kaum zu erreichen. Das Wechseln des Skalenseils geht nur im ausgebauten Zustand des Chassis. Für den Einbau des Chassis benötigte ich fast eine Stunde. Die abziehbare Achse des Netzschalters auf der linken Seite bekam eine Kerbe eingefeilt, damit die Madenschraube diese besser halten kann.
Das Skalenglas besteht aus zwei dünnen Fensterglasscheiben, zwischen denen ein mit den Sendern bedrucktes Blatt Papier liegt. Obwohl die Skalenbeleuchtung mit zwei Skalenlampen zu je 7 Volt / 300 mA erfolgt, was 2,1 Watt entspricht, ist die Ausleuchtung recht dunkel. Deshalb überlege ich mir die beiden Metallhalterungen der Skalenlampen weiß zu lackieren, damit diese Halterungen das Licht besser reflektieren.
Die Gleichrichterröhre AZ1 sah an den Kontakten fast wie neu aus. Mir ist auch in anderen Radios aufgefallen, dass die Gleichrichterröhre nicht mehr original war.
Ersatzteile: Ich hatte alle Ersatzteile auf Lager. Den Netztrafo habe ich aus meinen selbst gebauten Experimentiernetzteil gewonnen. Dieses Netzteil hat im Gegenzug einen anderen bekommen, der nur für einen Brückengleichrichter geeignet ist. Und dieser Trafo war in einem alten Netzteil, das ich mal vor 20 Jahren gebaut hatte und nicht mehr brauche. Dafür habe ich jetzt ein schönes, leeres Gehäuse für die weitere Verwendung. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen werden also optimal genutzt. Wegschmeißen kommt natürlich bei mir überhaupt nicht in Frage.
Den NF-Ausgangstrafo habe ich in meiner Schrottkiste gefunden. Er hatte viele Anzapfungen und erwies sich vom Klang her am besten. Da er viel größer als der ursprüngliche Trafo ist, gab es auch keine Probleme mit der Kernsättigung bei hoher Lautstärke.
Empfang von Radio Österreich 1 International ( http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%961_International ) auf Kurzwelle zwischen 07:00 und 08:15 MESZ auf 6155 kHz (49-m-Band) am 22. Mai 2013. Antenne: 30 Meter langer Draht. Empfänger: Concerton V443.
Die Firma Stern & Stern: Das Radio ist von der schwedischen Firma Stern & Stern, welche Anfang der 1920er Jahre die Gebrüder Stern als Aktiengesellschaft gründeten. In den ersten Jahren wurden nur Ersatzteile für Autos vertrieben. Einige Jahre später kamen auch Bauteile für die Rundfunktechnik hinzu und erst gegen Ende der 1920er Jahre begann die eigene Produktion von Radioapparaten. Anfangs waren es Detektorempfänger.
Stern & Stern wurde 1936 ein Tochterunternehmen von Philips. Der Markenname Concerton lebte bis 1957 weiter und wurde danach in "Conserton" unbenannt, womit der Name "Stern & Stern" aufgegeben wurde. Die Radioapparate von Stern & Stern wurde ab 1940 von Philips in Norrköping gebaut und oft existiert eine Philips-Variante mit einem etwas anderem Aussehen.
Das Wort Conserton hat schon für sich in der schwedischen Sprache einen melodischen Klang. Als Markenname in der Radio- und TV-Branche war die Wahl dieses Kunstwortes ein Volltreffer. Leider wurde das Wort Conserton manchmal unschön als "Conkerton" ausgesprochen. Deshalb hat sich Stern & Stern entschlossen den Markennamen von "Concerton" auf "Conserton" zu ändern. Im gleichen Zuge bekam der Schriftzug ein neues Aussehen.
In einer Ecke meines Arbeitszimmers hat das Concerton V443 seinen Platz gefunden. Für den Empfang ist es mit der Außenantenne verbunden. Das Radio, die Bilder und selbst das Regal sind vom Flohmarkt. Diese Ecke meines Zimmers strahlt etwas vom Charme der 1940er Jahre Schwedens aus.
Ergebnis: Nach der Reparatur und dem Abgleich hatte ich ein empfindliches und trennscharfes Radio ohne Brumm. Die Sender liefen auch nicht weg. Der Klang ist in Anbetracht des über 70 Jahre alten elektrodynamischen Lautsprechers gut, obwohl heutige Ohren verwöhnt sind. Das Gehäuse sah wieder tauglich für das Wohnzimmer aus.