Am 14.11.23 überarbeitet
Die Anodenspannung meines alten Röhrenradios Braun 555 UKW aus dem Jahre 1955 war am Selenbrückengleichrichter von 270 auf 250 Volt gesunken, was sich vor allen Dingen durch eine zu dunkle Leuchtkraft des Magischen Auges bemerkbar machte, welches zudem altersbedingt nicht mehr besonders hell war.
Der Fehler: Ein zu geringe Anodenspannung kann häufig seine Ursache in einem defekten Koppelkondensator zum Steuergitter der NF-Endpentode haben. Doch dies war nicht der Fall. Der Spannungsabfall am Kathodenwiderstand war mit 7 Volt nicht zu hoch und außerdem wurde bereits der alte Koppelkondensator, welcher einen Leckstrom aufwieß, gegen einen neuen ausgetauscht.
Ein Selenbrückgleichrichter im Flachgehäuse. Die Bezeichnung „B 250 C75“ besagt, dass es sich um einen Brückengleichter (B) handelt, für eine maximale Spannung von 250 Volt bei einem maximalen Strom von 75 mA. Zur Kühlung ist direkt auf das Chassis geschraubt.
Das Netzteil eines Röhrenradios. Unten rechts ist der Brückengleichrichter abgebildet. Laut Schaltbild sollte die Spannung an seinem Pluspol bei UKW 270 Volt betragen und auf den anderen Wellenbereichen 275. Doch die Spannung lag bei UKW nur bei 250 Volt. Zudem lieferte die Wicklung für die Anodenspannung fast 230 Volt statt 218 Volt. Der Spannungsabfall am Gleichrichter war also viel zu hoch.
Bemerkenswert war zudem, dass die Wechselspannung an der Anodenwicklung um etwa 15 Volt höher war als im Schaltbild angegeben. Dies bedeutet, dass der Netztrafo weniger als normal belastet wird. Die Ursache war der altersbedingt defekte Selenbrückengleichrichter. Normalerweise fallen an ihm etwa 20 Volt ab. In meinem Fall waren es bereits fast 40 Volt. Durch den erhöhten Spannungsabfall erwärmt sich der Gleichrichter zudem mehr als normal und kann früher oder später „durchbrennen“, was sich durch einen unverkennbaren Geruch nach faulen Eiern bemerkbar macht. Es ist also kein Fehler, diesen Selengleichrichter rechtzeitig auszutauschen. Der faulige Geruch eines durchgebrannten Selengleichrichters setzt sich zudem tagelang in der Wohnung fest.
Siliziumdioden als Ersatz: Als Ersatz verwendet man eine Gleichrichterbrücke aus Silizium-Gleichrichterdioden. Da Spannungen bis zu 350 Volt am nachfolgenden Glättungskondensator auftreten können, eignet sich hierfür die Diode 1N4007, welche sich in alten Röhrenradios sehr bewährt hat. Allerdings reichen Siliziumdioden alleine nicht aus. Da Siliziumdioden in Durchlassrichtung nur einen Spannungsabfall von etwa 0,7 Volt aufweisen, liegt die Ausgangsspannung jetzt um etwa 20 Volt höher. Diese Spannung sollte durch einen Vorwiderstand, welcher zwischen dem Pluspol des Brückengleichrichters und dem Glättungskondendsators angebracht ist, vernichtet werden. Durch den scharfen Kennlinienknick einer Siliziumdiode können zudem unerwünschte Mischprodukte entstehen, die zu Empfangsproblemen führen. Die Hochfrequenz wandert über die Netzzuleitung in das Gerät ein und es entstehen durch Mischung an der ungeraden Diodenkennlinie des Brückengleichrichters weitere Mischprodukte, welche ein Brummen auf Mittelwelle und besonders auf Langwelle erzeugen. Um dies zu verhindern, müssen parallel zu jeder Diode des Brückengleichrichters Kondensatoren (Entbrummkondensatoren) geschaltet werden.
Die Ersatzschaltung aus Siliziumdioden D1 bis D4 1N4007, Entbrummkondensatoren C1 bis C4 4,7 bis 22 nF, mindestens 1000 Volt Spannungsfestigkeit und dem Vorwidertand Rv. Die Dimensionierung des Vorwiderstands ist im nachfolgenden Text beschrieben. In meinem Fall hat er 280 Ohm. Zur Sicherheit wurde eine Verlustleistung von 16 Watt gewählt. U1 ist die Wechselspannung der Anodenspannungs-Wicklung des Netztrafos. UA geht zum ersten Kondensator der Siebkette für die Anodenspannung.
Praktische Umsetzung: Um nachfolgenden Generationen eine Chance zu geben, den ursprünglichen Zustand des Chassis wenigstens optisch wieder herzustellen, habe ich mich dazu entschlossen, den alten Selenbrückengleichrichter im Gerät zu belassen und ihn einfach nur abzuklemmen. Auf den alten Gleichrichter, welche sich in einem Flachgehäuse befindet, habe ich dann mit verlöteten Drahtstücken eine kleine Lochrasterplatine isoliert befestigt, auf der sich die vier Silizium-Dioden befinden. Ein Verkleben war mir zu riskant, da sich Klebestellen mit der Zeit lösen können. In diesem Fall hätten Kurzschlüsse im Netzteil fatale Folgen. Ein Verschrauben kam auch nicht in Frage. Das Bohren neuer Löcher würde starke Vibrationen erzeugen, welche das alte Chassis beschädigen können. Die umherfliegenden Metallspäne erzeugen Kurzschlüsse. Zur Isolation zwischen Lochrasterplatte und dem Metallgehäuse des Gleichrichters habe ich einfach eine weitere Lochrasterplatte in derselben Größe genommen. Die praktische Umsetzung sieht auf dem ersten Blick chaotisch aus, stellt aber dennoch ein betriebssichere Lösung dar. Trotzdem würde ich alte Röhrenradios nie länger unbeaufsichtigt betreiben.
Links ein Selenbrückengleichrichter, in der Mitte eine Lochrasterplatte zur Isolation und rechts die Rückseite der bestückten Lochrasterplatte.
So kommt der später der Aufbau der Ersatzschaltung auf den defekten Selengleichrichter. Zur Befestigung werden kurze Drahtstücke an die ungenutzten Lötfahnen des Gleichrichters gelötet. Es fehlen noch die Entbrummkondensatoren.
Die eingebaute, und festgelötete Ersatzschaltung.
Welche Entbrummkondensatoren? Sie sollten eine Kapazität von 4,7 bis 22 nF besitzen und zur Sicherheit mindestens eine Spannungsfestigkeit von 1000 Volt aufweisen. Falls ein Entbrummkondensator durchschlägt, kann dies nach meiner Erfahrung auch zur Zerstörung der Dioden in Form eines Kurzschlusses führen, was weitere Zerstörungen nach sich ziehen kann.
Nachträglich wurden die vier Entbrummkondensatoren parallel zu den Dioden angebracht. Gewiss kein schöner Anblick, aber trotzdem sicher. Beim nächsten Ausbau des Chassis werden die Drähte der Kondensatoren gekürzt und neu verlötet.
So sah es vorher aus. Der gesamte Eingriff geschah von der geöffneten Unterseite. Das Chassis musste nicht ausgebaut werden.
Das Radio kopfüber auf der Werkbank.
Dimensionierung des Vorwiderstands: Der Wert des Vorwiderstands hängt von Gerät zu Gerät ab. Mein Braun 555 UKW hatte einen Gesamtstromverbrauch der Anodenspannung von 57 mA. Ohne Vorwidertand lag am Pluspol des Gleichrichters eine Spannung von 290 Volt vor. Mit zwei parallelgeschalteten Widerständen zu je 560 Ohm konnte ich die Spannung auf 260 Volt reduzieren. Man muss bei der Dimensionierung etwas experimentieren. Zu Sicherheit verträgt jeder der Widerstände ein maximale Verlustleisung von 8 Watt. Trotzdem wurde die Oberfläche der Widerstände über 50° C warm. Übrigens steigt die Anodenspannung beim Einschalten auf die Leerlaufspannung von 342 Volt an, weil die kalten Röhren noch keinen Anodenstrom ziehen können. Diese Spannung müssen von den Sieb- und Glättungs-Elkos verkraftet werden können.
Selengleichrichter in einem Metallbecher.
Selengleichrichter durch Kunstschaltungen ersetzen: Selengleichrichter lassen sich auch durch Kunstschaltungen mit MOSFETs oder Zener-Dioden nachbilden. Mehr dazu ist unter Selengleichrichter: Ersatz durch MOSFET-Schaltung beschrieben. Dort sind auch sehr viele interessante Hintergrundinformationen nachzulesen.