Ungeachtet dessen, ob sich die Welt im Kalten Krieg befindet oder nicht, sind Zahlensender seit Jahrzehnten im Einsatz, um Spione zu informieren und zu instruieren, ohne sie dabei der Gefahr einer Enttarnung auszusetzen. Das Internet konnte daran nichts ändern. Zahlensender sind nach wie vor immer noch im Einsatz. Wir können auf Wellenjagd gehen, um sie aufzuspüren und abzuhören. Aber ihre Inhalte bleiben für uns ein Mysterium.
Seit dem Ersten Weltkrieg gibt es Zahlensender, und sie sind immer noch auf den Kurzwellenbändern zu hören. Selbst das Internet konnte sie nicht verdrängen, denn es wäre für die Verbreitung geheimer Anweisungen an Geheimdienstmitarbeiter denkbar ungeeignet, da sich die Spur zum Empfänger ohne Probleme nachverfolgen lässt. Durch die Vorratsdatenspeicherung, welche in vielen Ländern ein Standard ist, besteht immer das Risiko aufzufliegen. Aus dem gleichem Grund sind Telefonverbindungen ebenfalls für die Spionagetätigkeit ungeeignet. Deshalb sind Zahlensender immer noch hochaktuell. Sie sterben nicht aus, obwohl ihre Zahl seit dem Ende der 90er-Jahre zurückgegangen ist.
Russland, Polen und Kuba gehören immer noch zu den Ländern, welche Zahlensender betreiben. Die Zahlensender sind nach der ENIGMA-Klassifizierung der European Numbers Information Gathering and Monitoring Assocation (ENIGMA) eingeteilt:
E = Aussendung auf Englisch
G = Aussendung auf Deutsch
S = Aussendung in einer slavischen Sprache
V = Die Station sendet in einer anderen Sprache (meist Spanisch oder Arabisch)
M = Aussendung im Morsecode
X = die Station sendet etwas völlig anderes, zum Beispiel polyphone Töne.
Am einfachsten und unverfänglichsten funktioniert die geheime Informationsübermittlung auf den Frequenzen der Kurzwellenbänder, welche große Entfernungen um den halben Erdball überbrücken können. In der Regel sind Distanzen von mehreren 1000 km mit relativ geringen Leistungen von 10 bis 50 kW zuverlässig zu überbrücken. Als Empfänger reicht dem Spion ein handelsübliches Kofferradio, das auch die Kurzwellenbänder empfangen kann. Die Zahlensender besitzen eine ausreichend hohe Sendeleistung, damit ihre meist gesprochenen Botschaften auch mit einer kleinen Teleskopantenne gut aufzunehmen sind. Der Betrieb eines Zahlensenders ist damit nicht ganz billig und es muss wichtige Gründe geben einen solchen Sender zu betreiben. Das Kofferradio oder der kleine Weltempfänger sollte neben der Modulationsart Amplitudenmodulation (AM) noch die empfindlichere Einseitenbandmodulation (SSB) demodulieren können, wozu die etwas besseren Weltempfänger in der Lage sind. Somit schöpft niemand Verdacht, wenn jemand in seiner Wohnung auf der Kurzwelle lauscht. Ich mache das ja auch und bin trotzdem kein Spion.
Der Zahlencode ist selbst von den Profis der Geheimdienst-Branche praktisch nicht zu knacken, da in der Regel das One-Time-Pad- oder Einmalschlüssel-Verfahren zur Anwendung kommt. Für jede Sendung wird demnach ein neuer Code benötigt, der für den Fall einer Hausdurchsuchung gut versteckt aufbewahrt ist. Aus dem selben Grund verbrennt der umsichtige Spion seine Aufzeichnungen unmittelbar nach der Enschlüsselung und spült die Asche die Toilette hinunter. Abgesehen von den Codes befindet sich nichts in der Wohnung des Spions, was ihm zum Verhängnis werden könnte.
Aus technischer Sicht wäre es kein Problem die Zahlen mit einer Spread-Spectrum-Modulation auszusenden. Das Sendesignal wäre für normale Empfänger nur als leicht erhöhtes Rauschen über eine Bandbreite von mehreren 100 kHz zu bemerken und bleibt damit als Aussendung für den uneingeweihten Hörer unentdeckt. Der entsprechende Empfänger wäre allerdings ein Spezialanfertigung, dessen Beschaffung und Entdeckung wieder ein Risiko für den Spion darstellt.
So oder so können wir die Botschaften aus monotonen Zahlenreihen leider nicht verstehen. Aber wir können auf Wellenjagd nach den Zahlensendern gehen. Und dies ist schon spannend genug, um den Nervenkitzel der Spione zu erahnen. Halten wir uns vor Augen: Wenn wir einem Zahlensender zuhören, dann gibt es zeitgleich irgendwo auf der Welt einen Menschen, der unter Anspannung dieselben Worte hört und dabei vielleicht sein Leben oder seine Freiheit riskiert:
Wo und wann senden die Zahlensender? Während Wikipedia über Zahlensender umfassende Informationen liefert, finden wir die Frequenzen und die Sendezeiten auf http://www.priyom.org. Das Schöne an den Zahlensendern ist nämlich, dass sie nach einem leicht durchschaubaren Sendeplan arbeiten, damit die Spione wissen, wann sie ihr Radio rechtzeitig einschalten müssen. Die Botschaften sind meist nur wenige Minuten kurz, weshalb es auf Pünktlichkeit ankommt. Andernfalls verpassen wir die Sendung. Die Seite ist clever gemacht. Rechts auf ihr finden wir die Zeile „Next Station in XX Minutes“ und darunter sind die entsprechenden Stationen aufgelistet, welche in den nächsten Minuten auf Sendung gehen.
Abhören über das Web ohne eigenen Empfänger: Wir müssen diese Zahlensender noch nicht einmal mit unserem eigenem Empfänger abhören. Es reicht auf priyom.org die Zeile des bald sendenden Zahlensenders anzuklicken und wir werden auf den Web-SDR-Empfänger der niederländischen Uni Twente weitergeleitet. Durch den Mausklick auf den Zahlensender ist der Web-SDR-Empfänger bereits auf die richtige Frequenz eingestellt. Mit dem eigenen Equipment macht es jedoch mehr Spaß.
Die Seite www.priyom.org liefert aktualisierte Informationen über die Frequenzen und Sendezeiten der Zahlensender (siehe Text).
Die Zahlenstimme aus einem elektronischen Kasten: Die monotone Stimme, welche die Zahlen völlig emotionslos und mit der immer gleichen Betonung herunterleiert, kommt meisten aus einem Sprach-Morse-Generator, für den früher ein Lochstreifen die Zahleninformationen lieferte, welcher der Sprach-Morse-Generator in Sprache umwandelte.
Manche Zahlensender senden in Telegrafie (CW). Die Morsezeichen lassen sich zum Beispiel mit dem kostenlosen Soundkartenprogramm Fldigi dekodieren. Was die dargestellten Zahlen- und Buchstabenreihen bedeuten sollen, bleibt dennoch verborgen.
The Buzzer – der geheimnisvolle Zahlensender auf 4625 kHz aus der Nähe von Moskau: Seit den frühen 1980er-Jahren oder schon seit den 1970er-Jahren – niemand weiß es so genau – ist fast ununterbrochen das monotone Piepsen oder Tuten auf der immer gleichen Frequenz von 4625 kHz USB beinahe rund um die Uhr zu hören. Ganz selten waren mal eher zufällig Stimmen oder etwas Musik zu hören. Welcher Funktion dieser Sender, der auch den Namen UVB-76 trägt, dienen soll, ist unbekannt und damit ein Anlass zu zahlreichen Spekulationen. Mehr dazu liefert die Wikipediaseite „The Buzzer“. Lesenswert ist auch der Artikel „Radio Ratlos“ der Süddeutschen Zeitung, welcher auch einen historischen Rückblick darüber liefert, wie sich im Laufe der Jahrzehnte das Interesse für UVB-76 gesteigert hat. Ob es sich tatsächlich um einen Zahlensender handelt, ist umstritten. Vielleicht soll der Sender den russischen Streitmächten durch sein Tuten nur signalisieren, dass die ganz große Katastrophe noch ausgeblieben ist?
Das Spektrum des Zahlensenders UVB-76 besteht aus mehreren Tönen verschiedener Frequenzen, welche der Sender aus der Nähe von Moskau mit Unterbrechungen aussendet, wodurch der Klang an ein Nebelhorn erinnert.
Der vermutlich ehemalige Standort von UVB-76 liegt etwa 50 km nordnordöstlich vom Zentrum Moskaus in Russland auf einer militärischen Anlage mitten im Wald. Google Maps zeigt Bilder von verwahrlosten Gebäuden.
Technik für Spione: Mit welcher nachrichtentechnischen Ausrüstung Spione sonst noch versehen waren, zeigt ein Online-Museum auf http://www.cryptomuseum.com mit vielen Bildern und Hintergrundinformationen.
Seltene Aufnahme eines Videos: Ein Zahlensender in deutscher Sprache.
Weitere interessante Quellen:
– Radio-Feature über Zahlensender vom Deutschlandfunk aus dem Jahr 2003
– Entschlüsselungsanleitung für einen Zahlensender
– Mitschnitt eines Zahlensender auf Deutsch vom 14. November 2014 auf 4792 kHz
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